Das Reflexvisier: Technik, verfügbare Modelle und Einsatzmöglichkeiten

Wir Praktiker wissen, wie schwierig es ist, mit einer "offenen Visierung“, also mit Kimme und Korn, ein Ziel zu treffen. Schließlich muss man erst mühsam und zeitraubend die vier Punkte Auge, Kimme, Korn und natürlich das Ziel in eine Linie bringen. Das menschliche Auge kann sich aber nur auf eine bestimmte Distanz scharfstellen, wobei das Korn als dritter Punkt in der Ziellinie erfahrungsgemäß der geeignetste ist: Die Schärfentiefe reicht dann immer noch aus, um das Korn scharf und die davorliegende Kimme noch einigermaßen scharf zu erkennen, während sich das Ziel nur erahnen lässt. Das alles erfordert Training und leider auch Demut. Denn im Alter lässt die Scharfstellungsfähigkeit der Augen nach, und eine Brille ist nicht immer die beste Lösung. Anders, wenn man bei einer Waffe statt Kimme und Korn ein Leuchtpunkt-Zielgerät einsetzt. Natürlich "leuchtet" hier nichts aufs Ziel. Das wäre nur mit einem aktiv ausstrahlenden Laser möglich, der aber in Deutschland Normalbürgern verwehrt ist. Trotzdem gelingt es fast mühelos, den in einem kleinen Display oder einer kurzen Röhre erscheinenden Leuchtpunkt mit dem Ziel in Übereinstimmung zu bringen – und schon (ein paar andere Faktoren mal beiseitegelassen) landet das Geschoss auf dem gewünschten Fleck.

So funktionieren die elektronischen Visiere

Schnittbild eines Aimpoint-Reflexvisiers.
Schnitt durch ein typisches Aimpoint-Gerät mit Röhrenprinzip. Eine Leuchtdiode sendet einen (durch eine Lochblende begrenzten) Strahl nach vorn auf eine leicht schräg stehende Linse. Der Schütze nimmt den von dort zurück refl ektierten Punkt deckungsgleich mit seinem Ziel wahr. Beide liegen scheinbar auf einer Ebene, was das schnelle Zielen erleichtert – parallaxefrei und mit beliebigem Augenabstand.

Das jedem Leuchtpunkt-Zielgerät (kurz: LPZ oder auch "Dot", Punkt) innewohnende Prinzip wurde schon vor über 100 Jahren entdeckt, aber nur selten eingesetzt. Ohne ein lichtstarkes Leuchtelement war man auf passive Lichtquellen angewiesen, etwa Glas- oder später Kunststoffröhrchen, die Umgebungslicht sammelten und dann einen äußerst schwachen Leuchtpunkt auf eine Linse warfen. Die Grundidee war aber richtig: Der Punkt auf einer halbdurchsichtigen Linse, zurückreflektiert zum Schützen, ließ sich einfacher zwischen Auge und Ziel bringen als Kimme und Korn. Erst 1975 gelang der schwedischen Firma Aimpoint der Durchbruch. Die Entwickler projizierten einen gebündelten Lichtstrahl aus einer LED ("Licht emittierende Diode") auf eine leicht schräg gesetzte Linse (siehe Zeichnung) und platzierten die Konstruktion ähnlich einem Zielfernrohr in eine Röhre, die durch die Frontlinse (eben die schräg gestellte) und eine Rücklinse zum Schützenauge hin verschlossen wurde. Eine Korrektur der Treffpunktlage in Höhe und Seite ist ebenfalls möglich. Unterschiedliche Dot-Größen werden in MOA angegeben ("Minute of Angle", Winkelminuten) und üblicherweise durch der LED vorgesetzte Lochblenden erreicht. Mit der Waffe, ob kurz oder lang, verbunden wird die Röhre durch die von ZFs bekannten Montageringe. Kompaktere Modelle besitzen auch integrierte Montagen, oft mit Schnellklemmvorrichtung, für die gängigen Picatinny- oder Weaver-Schienen. Auch wenn die ersten Aimpoints noch recht groß ausfielen, stellt diese Lichtpunkttechnik schon einen Meilenstein bei den Zielvorrichtungen dar. Der Begriff "Reflexvisier" für die gesamte Produktgruppe der Geräte mit eingespiegeltem Absehen hat sich eingebürgert, sowohl im Deutschen wie international ("reflex sights").

Eine andere Technik haben "Holosights"

Schnittbild eines Holosights.
Von EOTech entwickelt, aber zuerst von Bushnell als „Holosight“ vermarket – das EOTech-Prinzip basiert auf einem gespiegelten Laserstrahl, der ein Hologramm des Absehens quasi in der Luft vor dem Zielgerät schweben lässt (hier: nach links). Es sind auch komplizierte Absehen möglich, allerdings sind diese Zielgeräte größer und teurer als LED-Dots.

Seit einigen Jahren konkurriert, zumindest bei den hochwertigen Modellen für Behörden und Militäreinsätze, ein anderes Darstellungsverfahren mit den LEDs: Die US-Firma EOTech hatte Anfang der 2000er Jahre ein System entwickelt, mit einem umgelenkten Laser-Strahl ein holografisches Absehen zu projizieren, das scheinbar zwischen dem Zielgerät und dem Schützenauge schwebt. Die Technik erlaubt, neben dem simplen Zielpunkt, auch andere Absehenformen, Dreiecke, Skalen oder einen feinen Zielpunkt von einem MOA für präzise Weitschüsse, der von einem Schnellzielring von 65 MOA umgeben ist. Bekannt wurde das System allerdings über den US-Anbieter Bushnell, der das "Holosight" 2007 auf den Markt brachte, ein damals revolutionäres Gerät. Dass EOTech hinter der Entwicklung steckte, zeigte sich, als von dort eine robustere Geräteversion für das Militär vorgestellt wurde. Es gab viel Verwirrung in der Waffenbranche, ob überhaupt und wer nun bei wem abgekupfert hatte, aber heute ist EOTech als Erfinder anerkannt. Bushnell hat das Holosight heute nicht mehr im Programm und bietet kleinere LPZ auf LED Basis an. Die mit Laser ausgestatteten Geräte erfordern nämlich eine aufwändige Technik, sie sind schwerer und verbrauchen deutlich mehr Energie als LED-Systeme.

Worauf muss ich beim Kauf der Zielhilfen achten?

Es dürfte grob überschlagen eine deutlich dreistellige Zahl an verschiedenen Modellen auf dem Markt geben, wenn man die Varianten, unterschiedlich mögliche Dot-Größen und Montagen einrechnet. Die meisten kommen aus Asien, denn die dort ansässige Optikindustrie liefert heute weltweit individuell nach Kundenwunsch konfigurierte Produkte, die dann nur mit dem Markennamen des bestellenden Anbieters versehen ("gelabelt") werden. Sehr preiswerte Zielgeräte mit dem gut klingenden Namen verkaufen sich gut, sie ergänzen aber auch das Portfolio vieler Waffenhersteller, die dann auf ihrem Produkt auch ein Zielgerät gleichen Namens anbieten können. Weil bei schlechter Qualität anders herum aber auch der gute Ruf des Anbieters leiden würde, gibt es sozusagen eine sich ausgleichende Balance. Niemand würde störanfällige Geräte mit seinem schwer erkämpften guten Renommee verknüpfen wollen, wenn diese Produkte öfter in der Werkstatt als auf dem Schießstand zu finden wären. Wenn sie überhaupt repariert würden – bei vielen Geräten mit zugeklebter Mikroelektronik sind schon aufgrund der geringen Größen Reparaturen kaum möglich. Da werden dann der Einfachheit halber ganze Platinen getauscht oder auch das gesamte Gerät, wenn die Arbeitszeit ein Ausbessern nicht rechtfertigt. Wer also sein neues Leuchtpunkt-Zielgerät aus dem schier unüberblickbaren Angebot herauspicken oder zumindest eine engere Auswahl schaffen will, sollte bei den Preisen die Ausstattung berücksichtigen und, soweit ermittelbar, auch den Herstellungsort.

IPSC Schütze mit Pistole und Reflexvisier.
Einsatz im Sportschießen: Beispielsweise beim IPSC können die Sights in verschiedenen Klassen verwendet werden.
Zwei Männer mit Pistole im Anschlag. Auf den Pistolen befinden sich Reflexvisiere.
Auch im militärischen Bereich setzen sich die technischen Zielhilfen immer weiter durch.

In Deutschland oder auch in den USA hergestellte Modelle haben bereits einen höheren Grundpreis in der Herstellung. Japanische Hersteller wiederum sind Profis, was die Qualität von Optiklinsen und Elektronik angeht, und liefern beides zu vergleichsweise geringeren Kosten. Allein die bei der Bestellung möglichen Montage-Arten katapultieren die Preise oft in die Höhe. Das sehr zuverlässige Display-Gerät Romeo1 von SIG Sauer kostet in der Basisversion 445,- Euro, mit einer Picatinny-Montage schon 569,- Euro und mit einem Adapterset für Kurzwaffen direkt 629,- Euro. Da andere Störfaktoren wie Rückstoßfestigkeit beim Großkaliberschießen und jagdlicher Einsatz (wo schon mal ein zurückschnellender Ast Waffe und Visierung treffen kann) bei den "freien Waffen" entfallen, hat man hier fast freie Auswahl nach Geldbeutel und Einsatzzweck.

Hierfür eigenen sich Reflexvisiere

Schütze mit einer mit Reflexvisier bestückten Flinte im Anschlag.
Reflexvisiere eignen sich nicht nur für Kurzwaffen und Büchsen. Auch auf Flinten kann die Anwendung sinnvoll sein.

Von einigen Ausnahmen und Spezialmodellen abgesehen, eignen sich Reflexvisierungen für Lang- wie Kurzwaffen. Einige Anbieter liefern auch besonders flache und kleine Zielgeräte, die speziell für das Flintenschießen entwickelt wurden und auf die Laufschiene geklemmt werden, etwa das Aimpoint Micro S1, das Trophy TRS25 von Bushnell oder das Docter (Noblex) Quicksight. Hier macht sich ein Vorteil der Dot-Technik nützlich, denn gerade mit der Flinte ist das Schießen mit beiden geöffneten Augen ein Teil des Erfolgskonzepts, weil der Schütze ja in den vorausgeahnten Flugweg von Wurfscheibe und Schrotgarbe zielt. Der Durchmesser der Frontscheibe bei Röhrenmodellen oder das Sichtfenster bei den offenen Display-Modellen sind sozusagen das jeweilige Fenster zur Welt – und auch hier gibt es Fans des einen wie anderen Extrems. Prinzipiell könnte ein zu großer Röhrendurchmesser das Finden des oft feinen Leuchtpunkts erschweren, die wenigen Modelle mit 40-mm- oder gar 50-mm-Linse haben heute eher Exotenstatus. Andererseits erlauben die kleinen Sichtfenster (21 auf 15 mm beim Burris Fast-Fire III oder beim Steiner MRS) entsprechend niedrige Bauhöhen. Und notfalls dient eben der gesamte Rahmen als Zielhilfe, wie bei einem Ghost-Ring-Visier.


Reflexvisiere auf höchstem Standard bietet auch Holosun, all4shooters hat über die Shoperöffnung berichtet.

Ein aktueller Trend ist außerdem die Vorrüstung von Kurzwaffen für die Anbringung von Reflexvisieren. all4shooters hat hiervon bereits eine breite Auswahl getestet. So etwa die GLOCK 34 Gen5 M.O.S. , die GLOCK G45 M.O.S. in 9 mm Luger sowie die Heckler & Koch SFP9 OR.