Selbstverteidigung und waffenlose Abwehr – Teil 3:
Die Standardsequenz

Im ersten und zweiten Teil haben wir uns mit der Abwehr eines Schwingers sowie eines beidhändigen Würgegriffs beschäftigt. In Teil 3 geht es simpel ausgedrückt darum: "einen Plan zu haben und diesen im Notwehrfall auch umzusetzen!"  

Universell statt Spezifisch − ein Vorteil in der Selbstverteidigung

Viele traditionelle Kampfsportarten und Selbstverteidigungssysteme lehren spezielle Abwehrtechniken für bestimmte Attacken. Das Problem dieser Methode ist, dass sie grundsätzlich verlangt, erst einmal die Art des Angriffs richtig zu identifizieren und dann aus einer Vielzahl von Möglichkeiten die richtige Abwehrmaßnahme auszuwählen , um schlussendlich die entsprechende Technik blitzschnell anzuwenden, bevor man verletzt werden kann. Es verlangt nach jahrelangem, intensivem Praxistraining, wenn man in dieser Art und Weise blitzschnell auf einen unvorhersehbaren, spontanen Angriff reagieren möchte. Eine simplere Herangehensweise ist es, einen generellen Notfallplan zu haben, den man konsequent in die Tat umsetzt. Die Idee dabei ist es, anstatt unzählige Abwehrtechniken beherrschen zu müssen, eine einzige, prinzipielle "Standardsequenz" an Schlägen und Tritten einzustudieren, die darüber hinaus viele nützliche Körpermechaniken enthält und somit besonders wirkungsvoll ist. Egal welchem Angriff Sie sich ausgesetzt sehen, sie kontern immer mit der gleichen (aber dennoch sehr vielseitigen) Abwehrserie für einen effektiven Selbstschutz.

Standardsequenz einer Abwehrfolge zur Selbstverteidigung.
Es beginnt mit einem  geradlinigen, linken Handflächenstoß, einem rechten Hammerschlag-Handflächenstoß, einem weiteren linken Handflächenstoß es folgt ein rechter Horizontalellbogenstoß.

Die Standardsequenz zur Abwehr von Angriffen

Die Basissequenz, die ich vermittle, baut auf dem Fakt auf, dass die meisten Menschen Rechtshänder sind und somit instinktiv mit der rechten Hand härter und effizienter schlagen können (bei Linkshändern funktioniert dies spiegelverkehrt). Wir starten mit einer Bereitschaftshaltung mit nach vorne ausgerichtetem, linkem Fuß und fahren die linke Handfläche geradlinig nach vorne aus (wie bei einem klassischem "Jab", also der abrupt geschlagenen Geraden mit der Führhand im Boxen). Es folgen ein weiterer Handflächenstoß mit der rechten und linken Hand sowie ein rechtsseitiger, horizontaler Ellbogenstoß. Die Hüftdrehung, die dem Ellbogenstoß Kraft verleiht, wird gleich weiter ausgenutzt, um in einer flüssigen Bewegung mit einem Stoß mit dem rechten Knie abzuschließen. Hierbei das Knie nicht zu sehr einziehen, sondern vielmehr mit der Kraft des ganzen Körpers einen stampfenden Schritt nach vorne ausführen.

Beinarbeit der Selbstverteidigungssequenz.
Beinarbeit: Ein rechter Kniestoß und das Ende in einem tiefen rechten "Fußfallenkick."

Physiologisches Potential um den Angreifer zu täuschen

Um die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten unserer Standardabwehrsequenz besser zu verstehen, lassen Sie uns das "physiologische Potential" der Bewegungsabläufe ergründen. Als Beispiel möge hier die Anfangsbewegung des linken Handflächenstoßes dienen. Dieser kann als Finte fungieren, um das Augenmerk des Gegenübers vom eigentlichen, kraftvollen Stoß mit der rechten Hand abzulenken. Ausgeführt als "Jab" kann man aber auch einen leichten Gesichtstreffer landen und ebenfalls in einem Täuschungsmanöver die visuelle Sicht des Aggressors einschränken, was die Chancen erhöht, um mit der Rechten erfolgreich zulangen zu können. Das Beste daran ist, dass man durch den linksseitigen Schlag oder Stoß schon die richtige Distanz zum Gegner finden und somit mit der rechten Hand präzise treffen kann. Doch die Startbewegung des linken Handflächenstoßes kann auch defensiver als Stopper oder Rampe genutzt werden, um einen Schlag des Gegenübers zu parieren und umzuleiten – beispielsweise unter den Arm in den Achselbereich, wo der Arm des Aggressors gefangen gehalten und kontrolliert wird. Die nächste Folgebewegung in Gestalt des rechten Handflächenstoßes wird übrigens nicht geradlinig wie ein "Jab" ausgeführt, sondern sollte wie beim Servieren im Volleyball oder wie eine "Hammerfaust" mehr in einer Bewegungslinie von oben nach unten erfolgen.

Selbstverteidigung und waffenlose Abwehr – die Standardsequenz
Hier wird die fundamentale, extrem vielseitige Basisabwehr gegen einen rechten Seitenhaken oder Schwinger gezeigt. Der linke Arm leitet den Schlag effektiv ab, mit dem rechten Handflächenstoß wird die andere Hand gefangen und mit der nächsten Bewegung kontrolliert der linke Arm beide Arme des Aggressors.

Vorteile der Hammerfaust 

Weil sich der Aggressor in aufrechter Position befindet, überträgt dieser Hammerschlagwinkel mehr Energie ins Ziel, zumal er in Sachen "Grobmotorik" konstanter und effektiver unter Stress auszuführen ist. Darüber hinaus wird, wenn man Nase, Ohr, Wangenknochen, Hals oder Schlüsselbein anvisiert, das Risiko reduziert, dass man mit der Hand auf die Zähne des Gegenübers schlägt. Dies ist in der heutigen Welt keine zu unterschätzende Angelegenheit. Denn das Letzte, was man möchte, ist wohl, aus einem Straßenkampf als "Sieger" hervorzugehen, um Jahre später an einer Infektion zu sterben, weil die Zähne des kranken Angreifers unsere Haut verletzen und somit die Krankheit übertragen konnten. Die fallende, elliptische Bewegung des Hammerschlages oder -stoßes kann zudem auch besser und schneller multipel als "Dauerfeuer" ausgeführt werden, um beispielsweise den erfolgreich ausgeführten Abwehrblock des Aggressors dennoch zu überwinden und somit Raum für den horizontalen Ellbogenstoß zu schaffen. Auch alle anderen Bewegungsabläufe unserer Standardabwehrsequenz haben vielfache offensive und defensive Funktionen und Möglichkeiten. Der Ablauf der Sequenz kann und soll in der Geschwindigkeit (mit eventuellen Wiederholungen oder Verzögerungen von Bewegungen) der jeweiligen Situation und den Reaktionen des Gegenübers angepasst werden.

Beenden eines Angriffs mit einer Selbstverteidigungsreihenfolge.
Ellbogen- und Kniestoß beenden die Auseinandersetzung.
Nahkampfexperte bringt einen Angreifer unter Kontrolle.
Der Aggressor unter Kontrolle.

Die Vielseitigkeit der Standardverteidigung am Beispiel

Um die Vielseitigkeit unserer Standardverteidigung zu demonstrieren, zeigen wir hier, wie sie gegen einen langen, rechten Seitwärtshaken funktionieren könnte. Wenn der Aggressor zuschlägt, schieße ich meine linke Hand vorwärts und fahre sie einfach zwischen die Faust und den Kopf meines Gegenübers aus. Dies erlaubt meinem linken Arm, wie eine Rampe zu agieren, die den Angriffsschlag ablenkt und wirkungslos sowie gefangen unter meiner linken Armbeuge verpuffen lässt. Um den Angreifer nun daran zu hindern, mit der anderen Faust zuzuschlagen, nutze ich meinen rechten Handflächenstoß, um seine linke Hand gegen seine Brust zu schmettern. Mit der Folgebewegung mit der linken Hand reiche ich unter seinem Arm hindurch und nagele seine linke Hand an seiner Brust fest. An diesem Punkt habe ich seine beiden Arme nur mit meinem linken Arm sicher gefangen, was ausreichend Platz lässt, um mit einem Ellbogenstoß gegen seinen Kopf und einem kraftvollen Kniestoß in den Unterleib oder gegen den Oberschenkelnerv abzuschließen.

In weiteren Teilen der Serie werden wir uns damit beschäftigen, wie wir unsere Standardabwehrsequenz gegen andere Angriffstaktiken anwenden – wie wir also unseren vielseitigen Notfallplan in die Tat umsetzen.  

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