Selbstverteidigung und waffenlose Abwehr – Teil 2:
Effizienz und der "Würgeangriff"

Im ersten Teil haben wir uns mit dem Schwinger oder langen Seitwärtshaken und wie man ihn abwehren kann beschäftigt. Nun soll es um die Defensivtechniken gegen einen beidhändigen Würgegriff gehen. Eine der am häufigsten gestellten Fragen, wenn das Thema Selbstverteidigung ansteht, lautet: "Was kann ich machen, wenn mich eine weitaus größere und stärkere Person attackiert?" Die ehrliche Antwort, die übrigens für jede Selbstverteidigungssituation Gültigkeit hat, kann nur heißen: "tue das Beste, was Dir möglich ist!" Je härter Sie trainieren und umso besser ihre physische Fitness ist, desto eher können Sie in einer Auseinandersetzung Differenzen in Körpergröße und -kraft kompensieren. Wie auch immer, ein anderes wichtiges Element, um Ihre Abwehrtechniken möglichst effektiv zu gestalten, ist es, sicherzustellen, dass die eigene Körperstruktur so effizient wie möglich genutzt wird. Struktur ist in diesem Zusammenhang prinzipiell die Ausrichtung und Koordinierung der Knochen des Skeletts Ihres Körpers, wenn Sie eine bestimmte Bewegung ausführen.

Ein Mann wehrt mit einem Schlag der Finger unter den Kehlkopf einen Angreifer ab. Sicht vom Opfer aus.
Strecken und verriegeln Sie Ihre Finger, Ihr Handgelenk und Ellbogen und treiben Sie Ihre Finger wie eine Speerspitze in die Grube unterhalb des Kehlkopfes.
Ein Mann schlägt einem Angreifer mit seinen Fingerspitzen gegen den Kehlkopf. Perspektive von hinter dem Angreifer.
Mit Unterstützung der Wand drehen Sie ihre Schulter, um den verriegelten Arm immer weiter  auszufahren. Hier aus Anschauungsgründen aus zwei Perspektiven gezeigt.

Bei der waffenlosen Abwehr zählt: Struktur statt Kraft

Wenn Ihre Knochen und Gelenke korrekt ausgerichtet sind, brauchen Sie weniger Kraft einsetzen und sind dennoch effektiv, weil – üblicherweise durch Drehung von Hüfte und Schulter – mehr Energie aus der Körpermitte transferiert werden kann. Um dieses Konzept besser zu verstehen, stellen Sie sich bitte vor, dass sie einen simplen Liegestütz ausführen. In der Startposition sind die Arme komplett durchgestreckt und im Ellbogenbereich verriegelt. Diese Ausrichtung von Knochen und Gelenken ermöglicht es, dass Körpergewicht auch über einen längeren Zeitraum leicht halten zu können. Lockern Sie nun ihre Ellbogen, verlagern Sie Ihren Körper ein paar Zentimeter tiefer und halten Sie die Position. Mit der hauptsächlichen Unterstützung durch Muskeln anstatt durch Knochenausrichtung wird Ihre Struktur nicht annähernd so stark sein und Sie werden nach kurzer Zeit ermüden. So simpel wie dieses Konzept erscheinen mag, so oft wird es in Kampfsportarten und Selbstverteidigungssystemen vernachlässigt. Berücksichtigen und maximieren Sie im Training ihre strukturale Körperausrichtung, dann werden Ihre Selbstverteidigungstechniken weitaus kraftvoller sein. Außerdem konditionieren Sie sich selbst dazu "smarter statt härter zu kämpfen", Ihre Taktiken werden funktionaler und effizienter.

Angegriffener Mann setzt zum Tritt gegen den Angreifer an.
Durch die fortsetzende Schulterdrehung kommt auch die Hüfte frei, was es Ihnen ermöglicht, das Knie hochzuziehen, um einen kraftvollen Seitentritt anzusetzen.

Die Abwehr eines Würgegriffs – die Methoden 

Exemplarisch wird dieses Konzept gegen eine übliche, gefährliche Attacke in Form eines beidhändigen Würgegriffs erläutert. Hierbei greift der Aggressor mit beiden Händen um Ihren Hals und drückt zu, um die Luftzufuhr zu unterbinden. Im schlechtesten Fall werden Sie auch noch gegen eine Wand gedrückt, um Ihre Mobilität und Fluchtmöglichkeiten einzuschränken.

In vielen Kampfkünsten und Selbstverteidigungssystemen wird versucht zu kontern, indem man gegen die Hände des Angreifers agiert, um sich möglichst schnell aus dem Würgegriff zu befreien. Manche empfehlen, einen oder mehrere Finger einer Hand des Gegners zu greifen und nach hinten zu biegen, damit er seinen Griff lockert. Andere wiederum vermitteln eine Abwehrmaßnahme mittels Hebel- oder Polizeigriff ("wristlock") am Handgelenk des Gegenübers. Mögen diese Taktiken bei einem ebenbürtigen Kontrahenten funktionieren, dürften sie gegen einen größeren, stärkeren Gegner kaum effektiv sein.

Der effektivste Weg dem Angreifer zu entkommen

Mann tritt seinem Angreifer in das Kniegelenk.
Der Tritt gegen das Knie- oder Fußgelenk des Angreifers zerstört seine Mobilität und verschafft Ihnen sichere Fluchtmöglichkeiten.

Weil der Angreifer beide Hände um Ihren Hals hat, wissen Sie exakt wo sie sind – lassen Sie seine Hände da. Strecken und verriegeln Sie die Finger Ihrer starken Hand und fahren Sie Ihren Arm aus, um die Fingerspitzen in die "Drosselgrube" – die Einhöhlung am Hals oberhalb des Brustbeins und unterhalb des Kehlkopfs – Ihres Gegenübers zu treiben. Verriegeln Sie dabei ihren Ellbogen, um eine starke Struktur aufzubauen und unter Nutzung der Wand als Unterstützung rotieren Sie Ihre Schulter, um den Arm möglichst kraftvoll nach vorne zu verlängern. Selbst wenn der Angreifer sehr stark ist und/oder lange Arme hat, wird die kombinierte Kraft Ihres verriegelten Armes und der verlängerten Distanz durch Ihre ausgefahrenen Fingerspitzen zusammen mit der Schulterrotation die Finger tief in den Hals des Aggressors treiben. Dies führt zu einem intensiven Schmerz und stört die Atmung. Dadurch wird der Angreifer nach hinten gezwungen und er wird seinen Würgegriff aufgeben. Weil ein Würgegriff generell als potentiell lebensbedrohlich eingestuft werden kann, müssen Sie sicherstellen, dass Sie sicher flüchten können. Denn letztendlich ist die sichere Flucht aus einer Notwehrlage das ultimative Ziel der Selbstverteidigung. Setzen Sie die eingeleitete Drehbewegung fort, was es Ihnen ermöglicht, auch die Hüfte zu drehen, um einen starken seitlichen Tritt gegen das Knie- oder Fußgelenk des Kontrahenten als Finale anzubringen, was seine Mobilität einschränkt und Ihnen Fluchtmöglichkeiten verschafft. Die besten Selbstverteidigungstechniken berücksichtigen und basieren auf unserer naturgegebenen Anatomie und Körperstruktur anstatt auf reiner Kraft, was die Erfolgschancen bei der Abwehr eines körperlich überlegenen Angreifers erhöht. 

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