Internationale FACE-Konferenz in Brüssel: Warum die EU die Interessen von 7 Millionen Jägern ernst nehmen sollte

Die Interessen der Jäger zu hören, besser zu verstehen und mit ihnen zusammenarbeiten, um die biologische Vielfalt und die Umwelt zu schützen: Das ist die Botschaft der Live-Stream-Pressekonferenz, die am 26. Oktober 2022 von FACE, dem Europäischen Verband für Jagd und Naturschutz, veranstaltet wurde. Unter dem Titel "Gemeinsam ein stärkeres Europa aufbauen – Warum Brüssel mit Europas 7 Millionen Jägern enger zusammenarbeiten muss" tauschten Spitzenvertreter der großen europäischen Jagdverbände Erfahrungen und umfassende Perspektiven über die wesentliche Rolle der Jäger für Natur, Gesellschaft und Wirtschaft aus und darüber, wie ein offener Dialog mit den EU-Institutionen am besten gefördert werden kann, um gemeinsam erfolgreich politische Ziele zu erreichen. Die Konferenz war auch Teil der von FACE geförderten Unterschriftenkampagne, mit der die wichtigsten politischen Institutionen Europas aufgefordert werden, "mit den Jägern zusammenzuarbeiten", um die Jagd und den Naturschutz zu fördern. (Die Kampagne hat bereits 200.000 Unterschriften erreicht, sowohl online als auch auf gedruckten Listen. Sie können hier unterschreiben, um sich ebenfalls an der Kampagne zu beteiligen).

Hochrangige Vertreter der wichtigsten europäischen Jagdverbände sprachen über biologische Vielfalt, Naturschutz, EU-Vorschriften und Verordnungen. 

"80 Prozent der Regeln und Vorschriften, die die Jagd und den Naturschutz betreffen, kommen aus Brüssel", erklärte Torbjorn Larsson, Präsident von FACE, in seiner Einleitung. Das Problem sei der Mangel an Flexibilität und Fairness seitens der EU-Institutionen so sehr, dass der Europäische Bürgerbeauftragte einen Fall von Missstand in der Verwaltungstätigkeit der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) feststellte, da diese nicht in der Lage war, in der entscheidenden Frage des laufenden Beschränkungsverfahrens für Blei in Munition - oder kurz "Bleiverbot" rechtzeitig wichtige Dokumente bereitzustellen.

Willy Schraen, Präsident des französischen Jägerverbandes, beklagte in diesem Zusammenhang den "Dogmatismus der EU ohne ausreichendes Wissen" und die übertriebene Ausweitung von Schutzgebieten durch die Vertreibung von Männern und Frauen aus dem Gebiet. "Ein gefährliches Spiel, bei dem der ländliche Raum geopfert und die Gebiete gefährdet werden", sagte er, denn "die Jäger sind das beste Mittel zur Verteidigung der Gebiete und der Artenvielfalt". Er forderte die Entscheidungsträger auf, Jäger nicht länger als "Dummköpfe oder Barbaren" zu betrachten und stattdessen auf die "Stimmen der Landbevölkerung" zu hören.

Auch der Präsident des spanischen Jagdverbands, Manuel Gallardo, betonte die Bedeutung des ländlichen Raums: "Die Jagd ist für die Entwicklung unseres Volkes, für landschaftsbezogene Aktivitäten und für die Erhaltung des ländlichen Raums unerlässlich". Als Beispiel nannte er die Bekämpfung der Überpopulation von Kaninchen während der Pandemie. Andererseits wies Gallardo darauf hin, dass die biologische Vielfalt in den Schutzgebieten tatsächlich zurückgeht. "Da stimmt etwas nicht", fügt er hinzu.

Nachhaltigkeit und politisches Bewusstsein: Warum die Jagd wichtig ist

Jäger sind nicht das Problem, sondern ein wichtiger Teil der Lösung.

"Heutzutage leben wir in einer sehr interessanten Welt: Wenn man sich operieren lassen will, fragt man einen Arzt; wenn man ins Weltall will, spricht man mit Wissenschaftlern oder Astronauten; aber wenn es um Fragen der Jagd geht, hat jeder eine Meinung und normalerweise fragt man nicht die Meinung der Jäger", betonte Linda Dombrovska, FACE Vizepräsidentin für den Ostseeraum. "Diese Kampagne ist eine Chance für uns, allen zu zeigen, dass unsere Meinung zählt und dass die Jagd auch im 21. Dies ist unsere Chance, der Gesellschaft und den Institutionen zu sagen, dass ihre Stimmen gehört werden sollten".

Christopher Graffius, Executive Director of Communication and Public Affairs bei BASC (British Association for Shooting and Conservation), sprach über politisches Bewusstsein: "Das Geschäft der Politik und einer guten Verwaltung besteht nicht darin, die Leute zu vertreten, die am lautesten schreien und sich am meisten beschweren. Es geht darum, die Interessen von Minderheiten zu vertreten und zu respektieren" (...) "Das ist meine wichtigste Botschaft an Sie: Sieben Millionen Jäger in Europa sind sieben Millionen Stimmen, aber sie sind mehr als das, denn auf jeden Jäger kommen Menschen, die in der Jagd arbeiten, Menschen, die die Jagd unterstützen, Menschen, die von der Jagd profitieren, indem sie die von ihr produzierten Lebensmittel essen, und auch sie sind Wähler."

Nachhaltigkeit war auch das Thema des Beitrags von Gian Luca Dall'Olio, FACE Vizepräsident für Italien: "Jäger sind Akteure der Biodiversität und des Naturschutzes. Die Jagd ist aktives Umweltmanagement und kann nicht von Wissen, kompetenten Menschen und erfahrenen Jägern getrennt werden, da "sie eine sehr wichtige Rolle auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene spielen, insbesondere in Krisenzeiten wie diesen."

Aus der Interaktion mit dem Publikum ergaben sich weitere spezifische Themen, darunter die europäischen Schusswaffenverordnungen, die Auslegung von EU-Richtlinien und die Bewirtschaftung von nicht gefährdeten Arten, insbesondere von großen Fleischfressern wie Bären und Wölfen. Juan Ignacio Zoido, Mitglied des Europäischen Parlaments (EEP), Spanien, brachte die Sichtweise aus dem Inneren der EU-Institutionen ein: "Die öffentliche Meinung versteht den Nutzen der Jagd nicht, es ist Demagogie. (...) Die EU-Kommission denkt, dass die Menschen in den Städten wichtiger sind als die Menschen in ländlichen und landwirtschaftlichen Gebieten."

Die von FACE initiierte Kampagne konzentriert sich auf diese Botschaft: Jäger sind nicht das Problem, sondern ein wichtiger Teil der Lösung. Der schwierige Teil besteht darin, dies den Entscheidungsträgern in der EU klar zu machen  und sie dazu zu bringen, es zu akzeptieren. Aber auch all die Jäger in der EU zu erreichen, sich an der Unterschriften-Aktion zu beteiligen.

Ein Kommentar von all4hunters.com zur FACE Konferenz 2022

Wenn man sich die zentralen Themen der FACE so aus der Distanz ansieht, könnte man zufrieden nicken und sagen: ja, das passt. Wenn man sich aber mit der Gesamtsituation der Jagd in Europa beschäftigt, bleiben doch einige Fragen offen, die wir hier gerne thematisieren möchten. Das soll keine Kritik an der Arbeit der FACE sein, unser Kommentar soll aber weitere wichtige Überlegungen aufzeigen:

1. Der wirtschaftliche Faktor der Jagd

Darüber sagt die FACE nichts – und doch ist es enorm wichtig. Waffe, Optik, Munition, Bekleidung, Zubehör, Jagdschulen, nationale und internationale Jagdreisen, Hotels, Gastronomie, Reviereinrichtungen, Pacht: All das spielt eine große wirtschaftliche Rolle, grundsätzlich und vor allem dann, wenn es um drohende Verbote wie bei Blei in Munition geht oder weitere Einschränkungen der Jagd jedweder Art. Dazu gehört auch die nachhaltige Bejagung von freilebenden Wildtieren (etwa bei Auslandsjagden) zur Finanzierung des Artenschutzes, der ohne die Jagderlöse wirtschaftlich in vielen Regionen überhaupt nicht möglich wäre.

2. Jagd darf nicht zum „reinen Hobby“ degradiert werden

Wir müssen unbedingt zwischen Jägern und Jagdscheininhaber (aus welchen Gründen auch immer motiviert) unterscheiden. Die wahre waid- und tierschutzgerechte Jagdausübung ist unseres Erachtens eher als Ehrenamt zu bewerten. Die Jagd ist ein Beitrag für die Gesellschaft zur Erhaltung einer möglichst artenreichen, gesunden Fauna und Flora, sowie eine Verpflichtung im Sinne der Land- und Forstwirtschaft nach gesetzlichen Vorgaben. Jagd ist damit auch angewandter, aktiver Tier- und Naturschutz.

3. Um die Jagd in der Gesellschaft und in ihrer Außenwahrnehmung wieder zu stärken, sind reichlich Verbesserungspotentiale vorhanden.

Diese Aufgaben der Jagd gesamtgesellschaftlich zu vermitteln und die Sinnhaftigkeit der vielschichtigen Tätigkeiten der Jägerschaft zu vermitteln, gelingt manchen Verbänden offensichtlich gerade nicht besonders gut. Es gibt seit einigen Jahren eine steigende Anzahl von Jagdscheininhabern, aber nur ein Teil tritt in die Verbände ein. Woran liegt das? Viele Jagdverbände  vertreten offensichtlich nicht wirklich die Interessen ihrer Mitglieder, sondern versuchen dem politischen oder  gesellschaftlichen Mainstream – aus verschiedenen Gründen –  zu folgen. Manche Funktionsträger, die „nebenbei“ noch Verbandspräsident sind, taumeln hier zwischen zwei Welten und Eigeninteressen hin und her, was der Jagd oft mehr schadet als nützt. Die Interessensvertreter der Jäger bemerken dabei oft nicht, wie sehr sie sich kampflos beugen und sich zunehmend den ideologischen Zwängen unserer Gesellschaft ergeben und sie somit eigentlich einen Verrat an den Interessen der eigenen Mitglieder üben. Leider fehlen für solches Verhalten bisher jegliche Konsequenzen, obwohl sie dringend notwendig wären.

Wir haben leider einen flächendeckenden Werteverfall in unserer Gesellschaft zu beklagen – das gilt auch für die Rolle und das Verständnis für die Jagdausübung als angewandter Natur- und Artenschutz. Es stellt sich die Frage, wie Werte wiederhergestellt werden können. Dass ein Großteil der Bevölkerung heute im urbanen Bereich lebt, sehr weit weg von Natur und Wildtieren ist, macht diese Aufgabe nicht einfacher. Aber leider wird von hier häufig der „politische Mainstream“ beeinflusst, ohne die Details und Hintergründe zu kennen. Hier einzugreifen, wäre eigentlich die Aufgabe der Jagdverbände. Positive Aufklärungsarbeit wäre dringend erforderlich – aber was wir immer häufiger erleben, sind verkrustete Strukturen in den Jagdverbänden. Dabei gäbe es genug zu tun: Eine optimierte und regelmäßig aufgefrischte jagdliche Aus- und Weiterbildung, positive Aufklärungsarbeit über die Rolle von Jagd und Jägern oder übergreifende Allianzen, um eine gute und geschlossene Lobbyarbeit zu machen. Aber oft sind leider die typische Kleinstaaterei und eigennütziges Agieren zu beobachten. Schade.

4. Bessere finanzielle Unterstützung der europäischen und internationalen Dachverbände, wie der FACE oder des CIC.

Das Ziel ist ganz klar umrissen: Es geht darum, national, europaweit und international mehr Wirkung durch ein geschlossenes Auftreten der Jagdverbände zu erreichen. Dazu würde aus unserer Sicht zum Beispiel auch gehören, Forschungsprojekte proaktiv anzuregen und finanziell verbandsübergreifend zu unterstützen sowie Fachexperten einzubinden anstatt eigene „lokale Profilneurosen“ zu pflegen. Eine einige und abgestimmt handelnde europäische Lobby könnte deutlich mehr erreichen. Denn so könnten fachlich und sachlich kompetente Ansprechpartner wieder politisches Gehör finden, sich kritischen Diskussionen stellen und so die Rolle von Jagd, Jäger, Natur- und Artenschutz, aber auch die Interessen der Industrie angemessen zu vertreten. Damit die nachhaltige Nutzung von natürlichen Ressourcen und die Erhaltung (oder Wiederherstellung) von Werten, Traditionen und Brauchtumspflege sowie die Offenheit für sinnvolle und notwendige Neuerungen angemessen sichergestellt sind.

+++ Dazu ist die European Hunters Campaign der FACE sicher ein guter internationaler Ansatz, dem nun aber auch verantwortungsvolles und zielgerichtetes Handeln aller Jagdverbände folgen müsste. Wir lassen hier bewusst den Konjunktiv stehen und hoffen darauf, dass die Mitglieder der Jagdverbände konsequent das einfordern, was dem Einklang von Jagd und Natur wirklich nützt – also eine wirkliche Vertretung der Interessen der Jagd und der Jägerschaft +++

In diesem Sinne: „Waidmannsheil“!

(Kommentar: Jürgen Flach)


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