Warum das Verbot von Blei in ziviler Munition ein Risiko für unsere militärische Sicherheit darstellt

Die Munitionsindustrie – vertreten durch den AFEMS (Verband der europäischen Hersteller von Sportmunition) – fordert ein 10- jähriges Moratorium für das geplante Verbot von Blei in Munition (auch bei ziviler Munition), um die Integrität der Lieferketten zu gewährleisten und die EU nicht von Munitionsimporten abhängig zu machen. Das Ziel ist klar: Die Sicherheit der EU und die Versorgungssicherheit mit Munition für den Verteidigungssektor zu gewährleisten.

Warum die Auswirkungen eines Verbots von Blei in ziviler Munition auf den militärischen Bereich nicht vernachlässigt werden dürfen? 

Iraqi Freedom
Ein lettischer Soldat mit einem G36, Kaliber 5,56x45 NATO (zivil: .223 Remington).

Einmal ganz abgesehen von der menschlichen und humanitären Tragödie ist der Konflikt in der Ukraine ein Ereignis, das die globale geopolitische Landschaft verändert und weltweit große wirtschaftliche Auswirkungen hat. Ein Ereignis dieses Ausmaßes erfordert ein hohes Maß an Flexibilität, um sich an die plötzliche und zwangläufig damit einhergehende Verschiebung der Prioritäten anzupassen, die es verursacht hat. Das Gleiche sollte aber auch für den Vorschlag der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) für Beschränkungen in puncto Blei gelten, der ein nahezu vollständiges Verbot von Blei in Munition für die Jagd und das Sportschießen vorsieht. Obwohl dieser Vorschlag theoretisch die militärische Produktion aus dem Geltungsbereich des Verbots ausschließt, hätte der aktuelle ECHA-Vorschlag, falls er angenommen wird, in der Praxis unbeabsichtigte und unverhältnismäßige Auswirkungen auf die EU-Verteidigungsindustrie und würde die Sicherheit der Versorgung mit kleinkalibriger militärischer Munition der NATO-Mitglieder und anderer EU/EWR-Mitgliedstaaten gefährden. 

In ihrer Antwort auf die Kommentare zum Dossier des Anhangs XV bekräftigt die ECHA zwar, dass sie „die möglichen Auswirkungen der vorgeschlagenen Beschränkung für die Herstellung von Munition für zivile Zwecke auf die Produktion von militärischer Munition bereits in Betracht gezogen hat“ und zu dem Schluss gekommen ist, dass „diese Auswirkungen vernachlässigbar sein werden“. 

Dies ist jedoch definitiv nicht der Fall. Die meisten Hersteller liefern solche kleinkalibrige Munition sowohl für zivile als auch für nicht zivile Kunden, und fast alle militärischen Patronen für Handfeuerwaffen enthalten Bleigeschosse. Folglich sind die Verteidigungskräfte eines Landes von ein und demselben Hersteller abhängig, sowohl für ihre Standardversorgung als auch für eine erhöhte Lieferkapazität im Falle einer Konfliktsituation (Nachschub). Da für bleifreie Munition und bleihaltige Munition unterschiedliche Maschinen/Montagelinien notwendig sind, sind die Munitionshersteller bei Inkrafttreten des ECHA-Beschränkungsvorschlags gezwungen, ihre Produktionslinien für zivile Kunden umzurüsten. Das schränkt natürlich ihre Fähigkeiten ein, die Nachfrage nach nicht ziviler kleinkalibriger Munition zu befriedigen und deren Produktion im Bedarfsfall zu erhöhen. 

Was verbindet die Produktion von ziviler Munition mit militärischen Produkten?

Munitionausgabe bei der Bundeswehr.
Die meisten Hersteller liefern Munition für zivile und nicht-zivile Kunden. Etwa entspricht die .223 Rem. der 5,56x45 NATO.

Tatsächlich stammen die aktuellen, zusätzlichen Produktionskapazitäten für Verteidigungszwecke derzeit aus den Produktionslinien für zivile Munition, die ohne weiteres für die Herstellung militärischer Produkte umgerüstet werden können. Wenn die Produktionslinien jedoch komplett für bleifreie Geschosse umgestaltet und angepasst werden müssten, können sie nicht mehr für die Herstellung von Bleigeschossen verwendet werden, wenn eine Produktionssteigerung wie etwa in Krisensituationen erforderlich ist. 

Bei der gegenwärtigen Eskalation der Ereignisse in Osteuropa hat sich die rechtzeitige Bereitstellung von Munition als Schlüsselfaktor im Falle einer unvorhersehbaren und noch nie dagewesenen Krise in Europa erwiesen. Angesichts der Entwicklung des offenbar anhaltenden Konflikts zwischen Russland und der Ukraine stehen die EU, die NATO-Mitglieder und andere EWR-Staaten der Ukraine bei der Versorgung des Landes mit wichtigen strategischen Waffen zur Seite. Infolgedessen sehen sich die NATO-Mitgliedstaaten bereits mit erheblichen Verzögerungen bei der Auffüllung ihrer eigenen Munitionsvorräte konfrontiert. Die Situation würde noch dramatischer werden, wenn der derzeitige Vorschlag der ECHA zur Beschränkung von Bleimunition in Kraft treten würde, nicht nur, weil sich dadurch die Verzögerungen bei der Lieferung von kleinkalibriger militärischer noch weiter verschärfen würden, sondern auch, weil die EU dann bei solcher zur Verteidigung notwendiger Munition von Einfuhren aus Drittländern abhängig wäre. 

Norwegischer Soldat schießt mit GLOCK 17.
Die 9x19 wird zivil und militärisch genutzt: Ein norwegischer Soldat bei einer Übung mit der GLOCK 17.

Aus diesem Grund hängen die Versorgungssicherheit und die Fähigkeit der Hersteller von kleinkalibriger Militärmunition, ihre Produktion in einer Konfliktsituation erheblich zu steigern, unmittelbar von der Möglichkeit der EU-Hersteller ab, zivile Produktionslinien in militärische umzurüsten zu können. Nur so kann vermieden werden, dass sie sich der Verteidigungssektor innerhalb der EU von Unternehmen mit Sitz in Nicht-NATO-Ländern abhängig macht. 

Es wird mindestens zehn Jahre dauern, bis eine Alternative zu Blei für die Herstellung von Munition gefunden ist, die aus Sicht der Militärbeschaffungsbehörden in den EU-Staaten und mit Blick auf die NATO-Standards akzeptabel ist. Und ob das überhaupt technisch möglich ist, steht heute noch gar nicht fest. Sobald aber eine solche Alternative gefunden ist, kann die zivile Produktion umgestellt werden, und die Ausnahmeregelung für Verteidigungszwecke, die derzeit im Beschränkungsvorschlag der ECHA enthalten ist, kann danach „praxisgerecht“ umgesetzt werden. 

In Anbetracht all dessen fordert die EU-Munitionsindustrie, vertreten durch die AFEMS, ein mindestens zehnjähriges Moratorium für den ECHA-Vorschlag zur Beschränkung von Bleimunition in der EU. Diese Zeit wird mindestens benötigt, um eine Alternative zu Blei zu finden, die aus Sicht der EU und der NATO akzeptabel ist. In der Zwischenzeit sollte die Beschränkung überdacht werden, um sie nachhaltiger und wirksamer zu gestalten.

Diese Forderung zielt einzig und allein darauf ab, die unbeabsichtigten Folgen, die der Vorschlag der ECHA zur Beschränkung von Blei in Munition auf die Verfügbarkeit von kleinkalibriger militärischer Munition hätte, abzuwenden, da der ECHA-Vorschlag den Sicherheits- und Verteidigungssektor der EU in einer besonders sensiblen Zeit wie der gegenwärtigen mit dem anhaltenden Krieg in der Ukraine gefährden würde. 


Die Rolle und Bedeutung das AFEMS als Interessensvertretung

Der Herstellerverband Association of European Manufacturers of Sporting Ammunition (AFEMS) ist eine gemeinnützige Organisation mit über 70 Mitgliedern und angeschlossenen Organisationen aus 32 Ländern in Europa. Der AFEMS repräsentiert einen Zusammenschluss von Herstellern und Händlern von Jagd- und Sportmunition, Komponenten, Treibladungen und Produktionsmaschinen. Einige AFEMS-Mitglieder stellen auch Munition für den militärischen Bereich her und decken damit mehr als 90 % der militärischen Produktion von kleinkalibriger Munition in der Europäischen Union ab. 

Die Aufgabe des AFEMS besteht darin, den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen ihren Mitgliedern zu stärken und ihre Interessen gegenüber den zuständigen Entscheidungsgremien zu vertreten und zu wahren. Der AFEMS gilt als alleiniger Sprecher und Vertreter der gesamten europäischen Munitionsindustrie und führt einen aktiven Dialog mit Regierungen und Institutionen, um durch ihr Fachwissen bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Rechtsvorschriften und technischen Lösungen für die Herstellung, Klassifizierung und den Vertrieb von ziviler Munition und verwandten Produkten beizutragen.

Vor diesem Hintergrund wiegt das Wort des AFEMS schwer und die ECHA und vor allem die EU-Kommission wären gut beraten, diese Hinweise ernst zu nehmen und nicht wie die ECHA mit den Worten "das ist vernachlässigbar" abzuwiegeln. Das könnte sich als folgenschwere Fehleinschätzung herausstellen. Mit den entsprechenden Konsequenzen für die Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit in Europa.

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