Die jagdliche Version des Lee-Enfield: Die Repetierbüchse Lee-Speed im Test

Während des US-Bürgerkriegs waren sie noch High-Tech-Rüstzeug: "That damned Yankee rifle you load on sunday and shoot all week long". Repetierer mit Röhrenmagazin, etwa von Henry, Triplett & Scott oder Spencer waren an Feuerkraft den damals üblichen Vorderladern weit überlegen und das Prinzip wurde schon bald für neue Militärwaffen eifrig übernommen und verfeinert. Doch zeichneten sich schnell auch Nachteile des Systems ab, Patronen in einer Röhre hintereinander unter dem Lauf zu lagern, nicht zuletzt das langsame Nachladen einzelner Patronen. Eine Mittelschaft-Lösung musste her, bei der die Munition platzsparend übereinandergestapelt aufbewahrt wurden, am besten ein geschlossenes Magazin ohne Laderahmen. Denn diese fielen nach dem letzten Schuss unten aus dem Gewehr, was eine offene Konstruktion erforderte – ein Einfallstor für Schmutz und dadurch ein erhöhtes Risiko für Funktionsstörungen. Vorhang auf für James Lee, der noch in den 1870ern ein abnehmbares Kastenmagazin erfand.

Der Mann hinter dem Lee-Enfield

James Paris Lee, geboren am 9. August 1831 in Hawick, Schottland, war schon als Kind mit seinen Eltern nach Kanada ausgewandert. Bereits in jungen Jahren entwickelte er ein starkes Interesse an Waffentechnik. Am 4. November 1879 erhielt er dann das US-Patent 221328 für einen Repetierer mit Zylinderverschluss und abnehmbarem Kastenmagazin. Dabei lag der Fokus eindeutig auf dem Magazin. Die Firma Sharps hatte Lee und auch andere mit der Konstruktion eines Magazins beauftragt. Die Waffe wurde bei der Sharps Rifle Manufacturing Company, Bridgeport, Connecticut, zur Serienreife gebracht. Dies verzögerte sich aber durch den Weggang von Hugo Borchardt, dem leitenden Ingenieur bei Sharps, mit dem James Lee eng zusammengearbeitet hatte. So fertigte man im Auftrag der US-Marine lediglich etwa 300 Gewehre in .45-70 Government. Sharps ging im Oktober 1880 in Konkurs. Da wendete sich James Lee an die ebenfalls in Bridgeport ansässige Firma Remington. Dort war man sehr erfreut, denn der gerade produzierte Remington-Keene-Repetierer mit Zylinderverschluss und Röhrenmagazin erwies sich als Flop. Nun lief die Produktion endlich in größerem Stil an. Waffen gingen unter anderem nach China. 1887 war einer der Kunden Neuseeland, eine Bestellung über 500 Stück im recht merkwürdigen Kaliber .43 Spanish. Bereits 1886 reiste James Paris Lee nach Großbritannien, um seine Waffe zu vermarkten. Hier suchte man einen Ersatz für das betagte Martini-Henry. Sowohl deren Fallblocksystem als auch die Schwarzpulverpatrone .577/450 waren nicht mehr zeitgemäß. Lee traf auf offene Türen. Sein Zylinderverschluss, vor allem aber das abnehmbare Magazin, welches auch ohne Laderahmen gefüllt werden konnte, erregten Interesse. Weitergehende, aufwändige Tests demonstrierten die Zuverlässigkeit seiner Konstruktion. So wurde 1889 die "Rifle, Magazine Lee-Metford" als Standardbewaffnung der britischen Streitkräfte angenommen. Von Lee kamen Verschluss und Magazin, letzteres zunächst mit acht, ab der Version MK II mit einer Kapazität von zehn Patronen, doppelreihig gelagert. William Ellis Metford steuerte den Lauf bei. Metford ersann ein Polygon-Profil mit abgerundeten Kanten. Als Vorteil sah man die geringere Neigung zur Laufverschmutzung bei der Verwendung von Schwarzpulverpatronen. Da mit der Einführung des Lee-Metford auch eine Kaliberumstellung auf die Randpatrone .303 erfolgte, blieb dieser Vorteil nur solange erhalten, wie die 303er Munition mit Schwarzpulver geladen wurde. Doch bereits ab 1892 verwendete man rauchloses Pulver.

Lee-Speed komplett von links mit Patronen im Kaliber .308 British im Vordergrund.
Die zweiteilige Schaftkonstruktion gehört zu den Markenzeichen der Lee-Repetierer, ebenso das abnehmbare Magazin.

Schnell stellte sich heraus, dass sich das Metford-Laufprofil nicht für die höhere Rasanz der mit Cordite geladenen Munition eignete. Ausgelegt auf eine Lebensdauer von zirka 10.000 Schuss, verschlissen die Läufe bereits nach weniger als der Hälfte. Die Lösung war ein konventionell gezogenes Rohr: Fünf statt sieben Züge wie bei Metford waren der Nitro-Munition entschieden besser gewachsen. Die Royal Small Arms Factory (RSAF) in Enfield Lock, einem nördlichen Vorort von London, fertigte das Gewehr nun als Rifle, Magazine Lee-Enfield (RMLE). Da aber noch große Mengen alter Schwarzpulver-Munition vorhanden waren, kämpfte das Lee-Metford noch 1898 im Sudan-Feldzug und ab 1899 im Burenkrieg im Pulvernebel.

Lee-Enfield und Lee-Speed: Das sind die Büchsen im Detail

Vom Lee-Enfield Gewehr existiert auch eine zivile Version, das Lee-Speed. Sein Hintegrund: Während der Bedrohung ihrer Insel durch Napoleon I stellten die Briten eine Freiwilligenmiliz auf, die "Volunteers". Wer es sich leisten konnte, übte am Wochenende mit Freunden zum Schutze des Vaterlandes – die Ausrüstung bezahlte man selbst. Sogar Friedrich Engels war von dieser Bewegung angetan. Er widmete ihr einen Aufsatz und äußerte die Hoffnung, dass sich Vergleichbares auch in Preußen bilden würde. Natürlich vergeblich, denn bereits vor 170 Jahren war man darauf bedacht, dem Bürger keinen Zugriff auf Waffen zu ermöglichen. In Großbritannien kam das neue Repetiergewehr der britischen Armee schnell auch in private Hände. Hergestellt wurde es von der British Small Arms Company (B.S.A.) in Birmingham. Einziger Unterschied zum Lee-Enfield: Es fehlte die Royal Cypher, das gekrönte V.R. für Victoria Regina. Nahezu alle renommierten britischen Büchsenmacher offerierten das Gewehr in unterschiedlicher Verarbeitungsqualität, je nach Geldbeutel. Offiziere, die ihre Waffen ja selbst beschaffen mussten, griffen gerne zu. Aber auch in den Kolonien wurde das Lee-Speed ein Erfolg. Die Patrone .303 British reichte für die meisten Wildarten aus. Solange man es nicht auf Büffel, Elefanten oder Nashörner abgesehen hatte, war man mit ihr auf der sicheren Seite.

So funktioniert das Lee-Speed in .303 British

Detail der Expresskimme und der Klappkimmen.
Typisch für das Lee-Speed: Eine jagdliche Expresskimme, hier mit mehreren  Klappkimmen.

Das Lee-System arbeitet als Schließspanner und verriegelt im Gegensatz zu Mauser mit zwei Warzen hinten in der Verschlusshülse. Das abgebildete Lee-Speed ist eine jagdliche Version, ersichtlich an der Schäftung, dem freiliegenden Lauf und der Kimme mit Klappen für die unterschiedlichen Entfernungen von 400 bis 700 Yards. Hinten auf dem Schlösschen findet sich zusätzlich noch ein höhenverstellbarer Diopter, rechts daneben der Sicherungsflügel. Das Magazin nimmt zehn Patronen auf, es gab aber auch fünfschüssige Versionen. Die Armee legte damals großen Wert auf die hohe Magazinkapazität, dahinter steckten die Erfahrungen aus den Kolonialkriegen. Man begegnete vor der allgemeinen Einführung des MG dem Gegner mit "Volley Fire": Die Soldaten schossen gleichzeitig und schnell, sie waren seit Napoleons Zeiten darauf gedrillt. Dem Zeitgeist entsprechend hat der Repetierer auch noch einen Hebel zur Magazinabschaltung, eine Erfindung von Joseph Speed. Bei aktivierter Sperre konnte jeweils nur eine Patrone geladen werden, das gefüllte Magazin blieb in Reserve. Theoretisch abnehmbar, gaben die Briten in der Praxis nie weitere Magazine an die Soldaten aus.

Schlösschen des Lee-Speed mit aufgesetztem Diopter im Detail.
Die Firma W. W. Greener rüstete dieses Lee-Speed zusätzlich mit einem Schlösschendiopter aus.

Lee-Speed von W.W. Greener: Alle Details und Preis im Überblick

Modell:W.W. Greener Lee-Speed
Preis:Gebrauchtmarkt, ab zirka 800,- Euro
Kaliber:.303 British
Kapazität:10 + 1 Patronen
Länge:1151 mm
Lauflänge:645 mm
Dralllänge:1:10“ (254 mm)
Abzugsgewicht:2050 g
Gewicht:3260 g
Links-/Rechts-Ausführung:rechts
Ausstattung:Magazinsperre, zweiteiliger Nussbaumschaft, Expresskimme und Schlösschen-Lochdiopter, Direktabzug, Stahl-Schaftkappe, Staubschutzdeckel.

Das Oberflächen-Finish dieses Lee-Speed ist besser als bei den Armeegewehren. Kein Wunder, denn verkauft wurde es von William Wellington (W. W.) Greener, 68 Haymarket, London. Dies zeigt die Handgravur auf dem Staubschutzdeckel (Dustcover), einem Waffenteil, das bei praktisch allen Militärwaffen fehlt, verloren oder schlicht weggeworfen. Zusätzlich zieren hier die Metallteile dezente Randstichgravuren. Der mittels einer langen Schraube am Systemkasten befestigte Hinterschaft und der jagdliche Vorderschaft weisen eine hochwertige Fischhaut in englischer Art auf. Rechts am Gehäuse findet sich die Beschriftung "Lee-Speed Patents", der Hinweis auf Joseph Speed, den stellvertretenden Leiter der Royal Small Arms Factory, Enfield. Speed war als Konstrukteur bei der Entwicklung des Lee-Enfield involviert. Vorne rechts trägt der Lauf Beschusszeichen und Seriennummer.

Verschluss des Lee-Speed in geöffnetem Zustand.
Eine einzelne 303er Patrone auf der schwenkbaren Magazinsperre nach System Joseph Speed.
Verschluss des Lee-Speed in geschlossenem Zustand.
Nach rechts ausgezogen macht der Hebel der Magazinsperre den Weg für Patronen aus dem Magazin frei.

Hersteller und Varianten des Lee-Speed-Repetierers

Es gibt keinen weiteren Hinweis auf den eigentlichen Hersteller, höchstwahrscheinlich B.S.A. Birmingham. Es war damals üblich, Rohwaffen ohne Herstellerbeschriftung auszuliefern. Nach der Fertigstellung gemäß Kundenwunsch signierte sie dann der Verkäufer, in diesem Fall W. W. Greener. Dieses Gewehr repräsentiert dezente, beste britische Büchsenmacherarbeit. Eine Preisaussage ist nicht einfach. Waffen mit der Beschriftung von B.S.A. in gutem Zustand kann man durchaus ab etwa 800,- Euro bekommen, in Großbritannien sind sie eher teurer als hierzulande. Sobald der Name eines renommierten Büchsenmachers aus der Londoner City eingraviert ist, geht es nach oben, Ende (fast) offen. Wohlgemerkt: Man bezahlt hier für den Namen. Die Grundwaffen stammen nahezu alle von B.S.A., lediglich Ausstattung, Finish und Schaftholz variieren. Es existieren auch Exemplare mit Metford-Läufen. Preiswerter sind zivile Umbauten, die auf Militärwaffen basieren, erkenntlich an der Royal Cypher. Diese können durchaus qualitativ eine Alternative sein, wenn man mit ihnen schießen möchte, der Sammler aber liebt sie nur unmodifiziert. Man achte darauf, dass der Hinterschaft festsitzt. Schrumpfendes Holz kann ihn zum Wackeln bringen und zum Festschrauben braucht es einen langen Spezialschraubendreher.

James Paris Lee starb 1904 in Short Beach in Connecticut. Die Verwendung seines Gewehrs im Burenkrieg hat er noch erlebt. Lee-Enfield-Gewehre trifft man, wie auch das System 98, in allen Teilen der Welt. Selbst heute noch wird es in Darra Adam Khel kopiert, im pakistanischen Stammesgebiet der Paschtunen. Wie sagt doch ein Sprichwort der britischen Armee: "Alte Soldaten sterben nicht, sie verschwinden einfach". Beim Lee-Gewehr, nach zwei Weltkriegen und unzähligen Konflikten, stimmt das noch nicht ganz.


Text: Stephan Rudloff und Hamza Malalla

Dieser Bericht erschien zuerst in der VISIER, Ausgabe 12/2020. Das Heft ist im VS Medien-Onlineshop als Print-, wie auch als Digitalausgabe zu erwerben.

all4shooters hat auch schon andere Klassiker der Waffengeschichte vorgestellt. So etwa den Zivilumbau des Maschinengewehrs Maxim P.M. 1910.