Ein Stück Waffengeschichte im Test: Merz Revolver mit 20-Schuss-Trommel und zwei Läufen

Ein Bockrevolver vielleicht, der übereinander liegenden Läufe wegen? Oder, da zumindest die auffällige Trommel Bekanntes zeigt, eine Variante von Mausers Zick-Zack-Revolver? Eventuell ein Multi-Schuss-Revolver, der immerhin 20-schüssigen Trommel geschuldet? Auf jeden Fall ein Unikum, eins, wie es niemand aus dem all4shooters-Team je zuvor zu Gesicht bekommen hat. Da waren sich alle einig, nicht nur der extrem dürftigen Quellenlage wegen. Auf der Waffe standen der Name "Peter Merz" und die Ortsangabe von Basel in der Schweiz, nur ließ sich über den Hersteller nichts weiter feststellen, weder in Nachschlagewerken wie dem "Stöckel" noch in einem Personenregister. Auch lief die Recherche bei Schweizer Fachleuten ins Leere.

 Bockläufe und Kontur des 20-Schuss Revolvers.
Der Merz-Revolver hat dank der Bockläufe und des Rahmens mit seiner großen zweireihigen Trommel und deren Zick-Zack-Nut eine unverwechselbare Kontur.

So rätselhaft wie die Herkunft erschienen auch die Handhabungs- und sonstigen Eigenschaften dieses Ausnahmerevolvers. Die fast 3 Pfund schwere Waffe wiegt ungeladen mehr als ein klassischer .44-Magnum-Revolver, verfeuert aber mit der Patrone .22 l.r. ein relativ schwachbrüstiges Geschoss. Trotzdem addieren sich bei geladener Trommel noch über 100 g dazu. Der Revolver vermittelt, weder lauf- noch grifflastig, den Schwerpunkt bei der Trommel – die geladen mit etwa 500 g schon schwerer ist als manche Taschenpistole. Dank dieser Walze und der dünnen Kleinkaliberläufe ruht die Masse somit oberhalb des Zeigefingers, wenn der am Abzug anliegt. Dieser lässt sich nur im Hahnspanner-Modus auslösen, bei der Waffe handelt es sich also um ein Single-Action-Modell wie den Colt M 1873 Single Action Army alias Peacemaker oder den deutschen Reichsrevolver M 1879. Und dies bildet auch einen ersten Hinweis auf die Ingeniosität des Konstrukteurs. Denn das Züngel lenkt so knapp an den Abzugsbügel aus, dass die Waffe keinen Anschlagsbegrenzer (Triggerstop) benötigt.

Der Merz Revolver mit 20-Schuss: Rund um die Walze

Blick durch den Merz-Revolver.
Der an der Ladeklappe befestigte Hebel übernimmt Sicherungsfunktionen. Im Rahmenboden läuft auch der Steuernocken samt Schubstange.

Manche Teile erscheinen klar überdimensioniert. Außer Hahn und Ladeklappe betrifft das vor allem die Trommel. Sie misst fast 60 mm und sie schluckt – man muss es noch einmal hinschreiben – 20 Patronen im Kaliber .22 l.r.. Dass ein von der bösen Seite auf die Walze schauender Betrachter nicht nur diese 20, sondern gleich 30 Kammern wahrzunehmen scheint, das liegt an 10 Extrabohrungen. Die hat der Hersteller durch eine im Anschnitt ihrer jeweiligen Hauptbohrung liegende, kleinere Nebenbohrung kenntlich gemacht. Diese Erleichterungsbohrungen und die am Außenradius der Trommelstirnseite ausgefrästen Nuten haben der ungeladenen Trommel wohl das volle Pfund erspart …

Teilgeladene Trommel des 20-Schüssers.
Trotz der Erleichterungsbohrungen wiegt die mit 20 Patronen voll geladene Trommel des Merz-Revolvers fast 500 g.

Nach dem Ausbau der Trommel zeigt sich im Rahmenboden hinter dem horizontal laufenden Steuernocken ein Hebel, unten an der Ladeklappe beweglich angeschraubt und mit einem weiteren Nocken bestückt. Dessen Funktion erschließt sich – mangels einer Bedienungsanleitung – aus dem praktischen Versuch: Befindet sich der Hahn in der Sicherungsrast, lässt sich die Ladeklappe öffnen und arretieren. Besagter Nocken verhindert, dass sich der Hahn bei offener Klappe spannen lässt. Ist hingegen der Hahn gespannt oder abgeschlagen, kann der Anwender die Ladeklappe nicht öffnen. Bei geschlossener Klappe lässt sich wiederum weder in Sicherheits- noch in Spannrast an der Trommel drehen. Angesichts all dieser Sicherheitsfinessen stieg die Achtung vor dem Konstrukteur.

Zick-Zack-Nuten an der Trommel des Merz-Revolvers.
Zick-Zack-Nuten spielen eine Hauptrolle beim Transport der Trommel. Die Einfräsungen vorn mindern das Gewicht.

Die Zick-Zack-Nuten der Merz-Trommel erzwangen förmlich den direkten Vergleich zum Mauser-Patent, auf dem der klassische deutsche Revolver C 78 basiert. Jedoch fallen Unterschiede auf: Peter Paul Mauser arbeitete mit einer Stufe und einer Vertiefung in den Steuernuten, Peter Merz mit einer Vertiefung und zwei Stufen im Funktions-Zyklus. Im Verlauf des vorderen Längsnutdrittels sorgt bei Merzens Konstruktion der horizontal laufende Steuernocken (wie beim Mauser-Revolver) für die Arretierung der Trommel im Schuss. Geht der Hahn beim Auslösen vor, zieht sich der Nocken zurück. Dabei läuft er über eine Stufe in den Weg der nächsten, schrägen Nute und dreht die Trommel beim erneuten Spannen des Hahnes wieder, nämlich genau um ein Achtzehntel ihres Umfanges. Am Ende dieses Weges drückt sich der Steuernocken dann über eine zweite Stufe in die nächste Längsnut. Damit liegt bei dieser Variante der Zick-Zack-Steuerung auch eine Zwangssteuerung der Schussabgabe vor. Denn die Trommel weist einen inneren und einen äußeren Patronenlagerkranz auf. Diese Kränze aber sitzen zueinander versetzt, nämlich um 18 Grad. So schlägt der überbreite Schlagbolzen jeweils einmal im oberen oder unteren Trommelkranz auf einen Patronenrand – und zündet so abwechselnd die aus dem oberen oder unteren Lauf abgefeuerte Patrone. Und 20-mal 18 Grad ergibt 360 Grad und somit eine volle Drehung der Trommel: Der Respekt vor dem Erfinder verwandelte sich angesichts dessen in Hochachtung.

Blick auf die Blattfeder.
Die Verarbeitung der Waffe ist exzellent, nur die wenig elegante, nicht gleichmäßig gestochene Gravur zeigt, dass beim Schmuck des Revolvers kein Meister am Werk war.

Ausstoßer und Rahmen: Das sind die technischen Details des Merz Revolvers

Auch hier warten diverse Finessen. So bedingt die über zwei Etagen befüllbare Trommel auch die zwei übereinander liegenden Läufe. Und die sollen ja zusammenschießen, also möglichst dieselbe Stelle treffen. Dann erfordert das Arrangement dieses Laufpaares einen gabelförmigen Ausstoßer. Der befördert auf einen Hub gleich zwei Patronenhülsen ins Freie. Deswegen müssen seine beiden Stangen also ebenfalls mit entsprechendem Versatz arbeiten.

Stoßboden des Merz-Revolvers.
Der im gelb angelassenen Stoßboden des Rückstoßschilds sichtbare und überbreite Schlagbolzen zündet im Wechsel eine Patrone aus dem oberen und unteren Kammerkranz.

Anfangs dachten wir, Merz hätte sich eines alten Rahmens von Colt oder Smith & Wesson bedient. Doch passten weder für alte noch für neue Modelle die entsprechenden Griffadapter der Einschießmaschine Ransom Rest auch nur im Ansatz, abgesehen von der V-Feder des Merz-Revolvers. Etwas, das ja auch Colt bis zum Schluss bei seinen Revolvern durchgehalten hat. Zudem fügte sich die Hahnfeder in kein modernes Schema, ähnelte eher der des Reichsrevolvers. Gegen die Hypothese der Zweitverwertung eines modernen Rahmens spricht auch der mehrteilige Aufbau aus verschiedenen Spangen. Nur die vordere Griffspange weist eine verschliffene, fünfstellige Nummer auf. Ein Indiz, dass vielleicht doch einige Teile des 20-Schüssers aus anderen Revolvern stammen. Anleihen an den Wildwest-Klassiker Colt Peacemaker bestehen in der Art und in der Befestigung der Trommelachse und des seitlich am Lauf sitzenden Ausstoßergehäuses. Eher modern wirkt das eingeschwalbte Scheibenkorn auf der geriffelten Rampe, das mit der starren U-Kimme einen hervorragenden Kontrast für das zielende Auge bildet.

Den Antrieb des Schlosses bewerkstelligt bei dem Merz-Revolver die nur leicht vorgespannte Blattfeder. Der Hahn fällt nach Überwindung von rund 2 kg. Ein Auslösewert, der subjektiv geringer erscheint. Das Schloss läuft mit Geschmeidigkeit und Präzision eines Schweizer Uhrwerks – was auch sonst bei der Herkunft. Anleihen bei Schweizer Kurzwaffen nehmen auch die Griffschalen. Es gilt, sie beim Montieren à la SIG P210 mittels einer Lippe unter die Schlossplatte zu schieben. Wer sie abnehmen will, muss sie also erst leicht liften, ehe sie sich abziehen lassen.

Insgesamt zeigte sich der 20-Schüsser von Merz in sehr hohem Verarbeitungsniveau. Nur eine etwas unfleißig gestichelte, florale Rankengravur trübte das Bild. Und dann fiel an der oberen Rahmenspange die Brünierungsfarbe etwas anders aus als bei den restlichen Metallteilen. Das lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf unterschiedliche Stahlsorten zurückführen.

2 Patronen stecken halb in der Trommel.
Double Action, doch nur beim Hülsenausstoß – die zwei Stäbe des Ejektors arbeiten dank ausgetüftelter Anordnung simultan.
Nussbraumgriffschale und Gehäuseunterteil.
Unter der oben im Rahmen der Waffe einzusteckenden Nussbaumgriffschale liefert eine Blattfeder die benötigte Schlagkraft

Mit dem Kuriosen Merz-Revolver in .22 l.r. auf dem Schießstand

Selten ging es mit so großen Erwartungen zum Testschießen – obwohl vorher klar war, dass besondere "Knalleffekte" kaum stattfinden dürften. So ließ sich der Rückschlag nur mit "gering" bis "kaum vorhanden" beschreiben. Doch interessierte in erster Linie die Präzision, also die Frage, ob beide Läufe halbwegs dieselbe Treffpunktlage haben würden. Tatsächlich schoss der obere Lauf einige Zentimeter hoch, der untere einige tief – meistens tat er das, denn einige Einschläge lagen mittig, aus einigen Kammern sogar in der anderen Gruppe. Dies stellten die Tester fest, indem sie jeweils nur den inneren oder den äußeren Kammernkranz luden und nach jedem Durchgang alle Einschläge markierten. Zwar gab es meistens Bierdeckel-Streukreise, auch kamen bei dieser Ausnahmewaffe wegen ihrer zwei Läufe Schussbilder zustande, die ein Tester so beschrieb: "Das sind mehr Streuovale statt Streukreise." Dennoch lässt sich die Schussleistung als sehr gut bezeichnen. Erfahrungsgemäß dürfte auch kaum eine moderne Sportwaffe beim Erstellen von 20er Streukreisen mit allen Treffern ab Schuss Nummer 11 sicher innerhalb des für gängige Zehn-Schuss-Gruppen üblichen Bereichs liegen. Die Top-Gruppe kann sich ohne den Ausreißer mit nur 86 mm durchaus sehen lassen.

Was bleibt vom einzigartigen Merz Revolver mit 2 Läufen?

Auch nach mehreren Wochen des Lesens und des Nachfragens wusste niemand, wann dieser Revolver gefertigt wurde. Eher aus dem Bauch statt nach validen Merkmalen geurteilt, datierte das Team die Entstehung der Waffe in der Nachkriegsära. Auch zu klären bleibt, warum ein solch großes, imposantes Gerät mit dermaßen ausgefallener Technik, aber für so schwaches Futter zustande kam. Die Energie der vollen 20-Patronen-Trommelladung zusammengenommen, liegen da keine 3.000 J an: Auch vor 60 oder 70 Jahren stellte das nichts dar, was ein normaler Sechsschüsser ab Kaliber .38 Special nicht zustande bekommen hätte. Die Frage nach dem Warum wird sich wohl damit beantworten lassen, dass es jemand konnte – ganz einfach.


Text: Robert Riegel und Matthias S. Recktenwald

Dieser Artikel erschien zuerst in der VISIER, Ausgabe 11/2019. Diese Ausgabe ist noch, sowohl als Print, wie auch als Digitalausgabe im VS Medien-Shop zu erwerben.

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