Derya Lion Practical: Die sportliche Selbstladeflinte im ausführlichen Schießstand-Test

Es war ein wenig wie das Wiedersehen mit einer guten Bekannten, die sich für dieses Treffen besonders schick gemacht hat. Tester Frank Flumm hatte 2016 eine der auffälligen rotschwarzen Selbstladeflinten in der Standardversion getestet. Damals war er von der absolut zuverlässigen Funktion der Derya Lion mit praktisch jeder Munitionssorte und von der sehr guten Präzision völlig begeistert. In der Zwischenzeit hat sich bei Derya einiges verändert. Auch der Importeur wechselte, die Flinten des türkischen Herstellers werden nun von RUAG Ammotec importiert. Anfangs war das nur die Selbstladeflinte MK-12 mit Kastenmagazin. Inzwischen wurde den Action-Flinten mit Einsteckmagazin im Angebot für Deutschland auch die Bockflinte Derya Meriva zur Seite gestellt. Und wer lieber eine Selbstladeflinte mit Röhrenmagazin kaufen möchte, bekommt auch das. Den Derya-Halbautomaten mit Röhrenmagazin gibt es ja jetzt wieder in Form des Modells Lion Practical.

Neue, auffällige Optik: Das Äußere der Derya Lion Practical LP-104

Auch an der Selbstladeflinte mit dem charakteristischen roten Systemgehäuse gab es diverse Änderungen. So ist das Leichtmetallgehäuse der neuen Version der Derya Lion Practical LP-104 nicht mehr glänzend rot eloxiert, sondern in einem deutlich helleren Rot matt lackiert. Und wer es optisch etwas zurückhaltender mag: Die Practical-Variante ist alternativ auch in einer komplett schwarzen Ausführung zu haben, dann nennt sie sich LP-101. Technisch setzt Derya bei der Lion nach wie vor auf Bewährtes: Der Gasdrucklader arbeitet mit einem Schwenkriegelverschluss und verfügt über ein Wechsel-Chokes. Die Bedienelemente geben keinerlei Rätsel auf. Die Lieferung erfolgt in einem schlichten Karton. Der Hersteller legt der Flinte noch zwei zusätzliche Chokes und den passenden Choke-Schlüssel bei, dazu eine Magazinverlängerung mit längerer Magazinfeder, ein Reinigungstuch, einen anschraubbaren Riemenbügel und eine Sicherheitsfahne für das Patronenlager. Die Magazinverlängerung ist rot lackiert, wie auch der rechts am Vorderschaft angebrachte Halter für eine Reservepatrone. Leider erwies sich die Lackierung der Testwaffe als nicht sonderlich widerstandsfähig, denn schon nach kurzer Zeit wiesen Gehäuse und Magazinverlängerung sichtbare Kratzer auf. Also: aufpassen.

Derya Lion Practical komplett von links.
In unserer Testvariante zeigten sich durch Lackierung angebrachte, matt-rote Farbakzente an der Derya Lion Practical.

Technische Aussstattung der Derya Lion Practical Selbstladeflinte

Schiene der Derya Lion Practical.
Über das Rädchen (links) lässt sich die ventilierte Laufschiene der Derya Lion Practical in der Höhe verstellen. Rechts im Bild die in die Laufschiene eingelassene Kimme mit Fiberglas-Einlagen.

Wes Geistes Kind die Lion Practical ist, zeigt sie auf den ersten Blick. Nicht nur das IPSC-Logo rechts auf dem Systemgehäuse weist auf den vorgesehenen Einsatzzweck hin, sondern auch die zahlreichen technischen und optischen Modifikationen gegenüber der alten Standardversion. So wurde die Ladeöffnung an der Gehäuseunterseite massiv vergrößert, um das Nachladen per Double Load oder Quad Load zu erleichtern. Außerdem wurden die Bedienelemente wie Durchladehebel und die Verschluss- Entriegelungstaste deutlich vergrößert, um Fehlbedienungen unter Wettkampfstress zu vermeiden. Der Kunststoffschaft mit Gummieinlagen an Griff und Vorderschaft besitzt eine integrierte Rückstoßdämpfung und endet in einer rutschfesten Gummikappe. Die Flinte verfügt über eine höhenverstellbare, ventilierte Laufschiene. Die Laufschiene beherbergt zudem ein grünes Leuchtkorn sowie eine Kimme mit zwei roten Fiberglas-Einsätzen. Bei hellem Licht bietet diese Visierung einen hervorragenden Kontrast und ein sehr gutes Zielbild. Bei mäßiger Beleuchtung ist das Visier allerdings weniger gut sichtbar und das Zielen fällt deutlich schwerer. Offenbar setzt Derya bei der Lion Practical aber ganz gezielt auf diese Laufschienen-Visierung, denn im Gegensatz zur alten Standardausführung der Lion weist die Gehäuseoberseite keine eingefrästen Rillen für 11-mm-Montagen auf, wodurch das einfache Anbringen einer Adapterschiene mit Picatinny- oder Weaver-Profil entfällt. Es sind jetzt zwar Fräsungen für eine spezielle Montageschiene ähnlich wie bei Beretta, Fabarm oder Winchester vorhanden.

Ladeöffnung der Derya Lion Practical.
Die Öffnung für den Ladelöffel wurde vorn großzügig erweitert, um das blitzschnelle Nachladen der Practical-Version der Derya Lion zu erleichtern.

Bedienelemente und Funktion

Die vergrößerten Bedienelemente der Flinte stellen eine deutliche Verbesserung gegenüber der alten Standardversion dar, im Gegensatz zur ebenfalls deutlich vergrößerten Ladeöffnung. Das Nachladen von zwei Patronen auf einmal (Double Load) war problemlos und sehr flott machbar. Dies gelang bei der alten Standardversion allerdings gleich gut. Beim sogenannten Quad Load, bei dem vier Patronen auf einmal in die Hand genommen werden, mussten die Tester aber größtenteils passen. Wenn überhaupt, dann war der Quad Load nur recht langsam durchführbar. Hier bremst die hohe Rückstellkraft des Ladelöffels und die Tatsache, dass der Patronenzubringer ein Stück weit in den Ladeschacht hineinragt. Dies erschwert das Einfädeln der Patronen. Man muss sie schon sehr exakt positionieren, um sie in das Röhrenmagazin einzuführen, und das kostet Zeit. Das Abzugsgewicht der Waffe variierte bei unseren Messungen um rund 800 Gramm. Im Durchschnitt aus zehn Messungen lag es bei 3.100 Gramm. Für schnelles Schießen im Wettkampf ist der Abzug dennoch ausreichend leichtgängig.

Mit der Derya Lion Practical in 12/76 auf dem Schießstand - oder wie aus einer erster Enttäuschung doch noch Begeisterung wurde

Tester auf dem Schießstand mit der Derya Lion Practical.
Der Co-Tester Jan Böhringer mit der Derya Lion Practical in Aktion auf dem Schießstand.

Doch wie schlägt sich diese Flinte in der Praxis? Direkt nach dem Auspacken wurde die Magazinverlängerung mit der verlängerten Magazinfeder montiert. Dies gelang problemlos und im Gegensatz zu manch anderer Flinte musste hierfür kein Helfer rekrutiert werden, um die Magazinfeder einzufädeln. Der erste Schießstandbesuch verlief leider enttäuschend. Das Testexemplar war mit jeglicher Munition praktisch ein reiner Einzellader. Offenbar reichte der Gasdruck nicht aus, um den Verschluss voll in Bewegung zu setzen. Der englischen Bedienungsanleitung konnte man entnehmen, dass man bei Verwendung von leichten Ladungen die beiden Gas-Pistons ausbauen, umdrehen und in umgekehrter Reihenfolge wieder einbauen solle. Das klappte in diesem Fall leider nicht, denn der Lauf saß für die Demontage zu stramm im Gehäuse und Gewalt wollten die Tester nicht ohne Not anwenden. Kein großes Problem: Die Flinte wurde zur Begutachtung an den Importeur zurückgeschickt. Nach erfolgter Überprüfung drehte man in Fürth das Piston-System für leichte Vorlagen um. Außerdem wurden sämtliche Funktionsteile großzügig mit GunCoating von Fluna Tec behandelt, einem hochwertigen Keramik-Feinschmierstoff. Danach wurde die Waffe vom Importeur probegeschossen, die Funktion für gut befunden. Und tatsächlich: Im zweiten Anlauf war die Flinte auf dem Schießstand nicht wiederzuerkennen. Jetzt lief sie mit allen Flintenlaufgeschossen von Kaliber 12/60 bis hinauf zu 12/76er Magnum-Slugs völlig problemlos. Selbst die sehr schwach geladene KO Cleanspeed Short stellte keinerlei Problem dar, obwohl bei dieser Laborierung die meisten anderen Selbstladeflinten passen müssen. Die 12/60er von Brenneke Laborierung ist eigentlich nur für Vorderschaftrepetierer vorgesehen. Dem Selbstlader von Derya war das aber egal: Auch bei bewusst lockerem Anschlag funktionierte die Flinte nunmehr mit allen verwendeten Patronen inklusive der 12/60 absolut störungsfrei – Chapeau!

Die Präzisionstests wurden in bewährter Weise von mehreren Schützen durchgeführt. Alle Munitionssorten wurden mehrmals von mehreren Schützen auf Präzision überprüft. Der beste Fünf-Schuss-Streukreis von 45 Millimetern wurde mit dem Coated Competition Slug Black von GECO erzielt, dicht gefolgt von der starken Extra Line Magnum im Kaliber 12/76 von Rottweil. Vermutlich ließen sich durch den Einsatz eines Leuchtpunktvisiers noch kleinere Streukreise erzielen. Aufgrund der Schießstandbeleuchtung war es über Kimme und Korn nicht ganz einfach, das Präzisionspotenzial voll umzusetzen. Auf einem geschlossenen und gut ausgeleuchteten Schießstand sorgte das Derya-Visier dagegen für sehr gute Trefferbilder. Die Zuverlässigkeit der Flinte, selbst mit sehr schwach geladener Munition, war schlicht hervorragend und die Funktion mit Schrot überzeugte genauso wie mit Slugs. Egal ob Schrotmunition mit Vorlagen von 24 oder 28 Gramm, die Testwaffe lief absolut zuverlässig und die Tester hatten viel Spaß beim Fällen von Fallplatten. Durch den reduzierten Rückstoß und das angenehme Schussverhalten der Lion Practical waren sehr schnelle Schiesszeiten bei zuverlässigen Treffern möglich. Der eine oder andere Tester könnte sich die Derya durchaus für den Eigenbedarf vorstellen.

Derya Lion Practical komplett von rechts.
Ohne die Magazinrohrverlängerung fasst das Röhrenmagazin der Derya Lion Practical vier Patronen. Mit Verlängerung wären es acht, in 12/60 sogar neun Schuss.

Derya Lion Practical: Technische Daten und Preis

Modell:Derya Lion Practical
Preis (UVP):€ 699,-
Kaliber:12/76
Kapazität:4/8 + 1 Patronen
Länge:1.140 mm
Lauflänge:610 mm (24“)
Schaftlänge:350 mm
Abzugsgewicht:3.100 g (Durchschnitt aus 10 Messungen)
Gewicht:3.000 g
Links-/Rechts-Ausführung:rechts
Ausstattung:Gasdrucklader, Alu-Gehäuse, Schwenkriegel-Verschluss, verstellbare Laufschiene, Wechsel-Chokes, Magazinschacht ausgefräst, Magazin-Verlängerung. Es sind 2 Farben lieferbar: rot (wie hier im Test) und komplett schwarz.

Fazit: Das kann die Derya Lion Practical

Die Derya Lion Practical ist eine sehr gute Flinte. Für 699,- Euro stellt sie eine gelungene und sehr günstige Alternative zu den Selbstladern bekannterer Hersteller dar. Ein gleichmäßiges Abzugsgewicht und eine haltbarere Lackierung stünden ihr freilich gut zu Gesicht. Aber: Funktion und Zuverlässigkeit waren über jeden Zweifel erhaben und beim schnellen Schießen war vom ungleichmäßigen Abzugsgewicht kaum etwas zu Verspüren. Das Preis-/Leistungsverhältnis kann man trotz der kleinen Unzulänglichkeiten nur als sehr gut bezeichnen. 

 Das hat uns gefallen:

 Das fanden wir weniger gut:

Hervorragende Funktion
Wenig widerstandsfähige Lackierung (etwas kratzempfindlich)
Sehr gutes SchussverhaltenSchwankendes Abzugsgewicht
Attraktives Preis-/Leistungsverhältnis

Text: Frank Flumm und Hamza Malalla

Dieser Artikel erschien auch in der VISIER, Ausgabe 2/2022. Dort die ausführlichen Schießergebnisse der Flintenlaufgeschosse (insgesamt sieben Laborierungen) in der praktischen Tabelle enthalten. Das Heft gibt es als Print- wie auch in der Digitalausgabe im VS Medien-Onlineshop.

Mehr Informationen zur Derya Lion Practical und den anderen Flinten aus dem Hause erhalten Sie direkt bei Derya sowie beim deutschen Importeur, der RUAG Ammotec.

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