Neue Schießanlage in Polen: Vor Ort auf dem großen Schießstand Wiechlice

Schießanlagen, die sich auch für Großwettkämpfe eignen, gibt es nur wenige in Deutschland – etwa den vom BDS genutzten Schießstand in Philippsburg. Will man nicht nur mit Kurzwaffen, sondern zudem noch mit dem Gewehr auf weite Distanzen zielen, haben sich deutsche Sportschützen fast schon daran gewöhnt, dass man auch über die Grenzen der Nachbarländer hinausdenken muss. So gibt es regelmäßig ausgetragene Wettkämpfe in Dänemark, Frankreich oder auch in Polen.

Viel Platz für den Schießsport: Insgesamt 14 Fußballfelder

Die Einladung, Ende Juli 2020 eine noch in der Entstehung befindliche Anlage nahe der deutsch-polnischen Grenze zu besuchen, kam trotzdem überraschend. In Wiechlice im früheren Schlesien, etwa in der Mitte zwischen Görlitz im Süden und Zielona Góra im Norden gelegen, wurde ein ehemaliger sowjetischer Militär-Schießstand mit umgebender Bewaldung nun in private Hände überführt: 100.000 Quadratmeter, also grob gerechnet 14 Fußballfelder groß ist das Areal, das gerade nach und nach per Bagger und Lastwagen vom Erdaushub und dem ungewünschten Bewuchs befreit wird. Dabei wurden viele Bäume geschickt in die Geländeplanung integriert – und eine Handvoll Fischteiche gibt es mittendrin auch. Außer dem Hauptgebäude, in dem sich etwas angestaubte, frühere Aufenthalts- und Seminarräume finden, gibt es aktuell nur provisorische Unterstellmöglichkeiten und einen großen Übersichtsplan, auf dem die künftigen Anlagen skizziert sind.

Übersichtkarte der neuen Schießanlge.
Die Grafik zeigt die halbe Anlage in Wiechlice, rechts unten einer der Seen.

Selber IPSC-Schütze: Der Investor hinter der Schießanlage in Polen

Investor Josef Ullmann neben IPSC-Legende Heribert Bettermann.
Josef Ullmann (r.) zeigt Heribert Bettermann den Hügel für die 500-m-Bahn.

Josef Ullmann ist der Chef hier. Er betreibt in Hattersheim bei Frankfurt ein Security-Unternehmen, heute mit einem Ableger in Polen. Der begeisterte IPSC-Schütze kennt die besten Schießstände Europas, auch ihre jeweiligen Schwächen und erkannte die Chance, als er vor ein paar Jahren angeboten bekam, ein wahres Prachtgelände zu erwerben. Der Preis, den die inzwischen zuständige Gemeinde in Wiechlice angesetzt hatte, war allerdings noch astronomisch hoch. Denn die unausweichlichen Investitionen und Umbauten zu einer modernen Schießanlage kämen ja noch hinzu. Ullmann, der fließend Polnisch spricht, fand in Jürgen Reiff einen weiteren Partner, und beide warteten zunächst geduldig ab. Dann kam ihnen die Stadt als Verkäufer entgegen: Mit geändertem Finanzplan und einem neuen, deutlich niedrigeren Preisvorschlag war das Geschäft dann im letzten Jahr unter Dach und Fach. Seit Januar 2020 fuhren die Bagger über das Gelände, um zunächst einmal hohe Sicherheitswälle für die einzelnen Schießbahnen anzuhäufen. Bis zu 35 solcher Bahnen sollen es am Ende sein, auch eine Schießmöglichkeit für Long-Range-Gewehre bis 500 Meter ist geplant, und zwar hoch über den Köpfen der anderen Besucher hinweg, von einem kleinen Hügel aus. Die Corona-Sperren sorgten zwar für eine kurzzeitige Pause, aber jetzt geht es umso rascher voran.

Bei der ersten Runde des IPSC-King’s Cup Ende Juli ging das dreitägige Match über 16 Stages und zog knapp 250 Schützen nach Wiechlice. Die auch in Polen geltenden Vorgaben für Veranstaltungen fordern zwar keinen Mund- und Nasenschutz für die Teilnehmer und die übrigen Anwesenden. Dennoch war zwingend vorgeschrieben (und in der Ausschreibung verankert), dass bei allen Startern an der Waffenkontrolle auch die Temperatur berührungslos per "Thermometer-Pistole" gemessen wurde. Erhöhte Werte als (ein) Indiz für eine mögliche Erkrankung hätten hier zum Ausschluss geführt.

Schießstand befindet sich in der Nähe eines ehemaligen Flugplatzes

Übersichtskarte der Schießanlage Wiechlice.
Die Ex-Landebahn weist auf Google Maps den Weg zur neuen Schießanlage (rechts).

Die Anlage ist vor allem gut aus Luftaufnahmen zu erkennen. Denn die Schießanlage grenzt unmittelbar an eine Start- und Landebahn, von der früher die gigantischen Antonow-124-Militärflugzeuge abhoben (knapp 70 Meter lang und 74 Meter Spannweite). Einzelne der heute leerstehenden Hangars drumherum sind an kleinere Unternehmen vermietet worden. Andere der noch verfügbaren könnte sich Ullmann durchaus noch als Indoor-Bahnen für seine Anlage vorstellen. Die großen haushohen Metalltore sind meistens noch vorhanden, und wo einst eine komplette Antonow hineingeschoben werden könnte, da bietet sich auch genügend Platz für einen Indoor-Schießparcours. Vorerst jedoch operiert man auf der Anlage in Wiechlice mit offenen Schießständen, was an heißen Sommertagen (oder bei Regen) zum Einsatz von großen Zelten führt, die der Veranstalter strategisch platziert. Erfahrene IPSC-Schützen kurven ohnehin nicht nur mit geländegängigen "Beach-Rollies" für die umfangreiche Ausrüstung über die oft weitläufigen Anlagen, sondern führen auch einen übergroßen Golf-Regenschirm mit, der bei Bedarf ebenso vor der prallen Sonne schützt.

Geeignet für größere (dynamische) Wettkämpfe

Heribert Bettermann im Schuss auf der neuen Schießanlage.
Heribert Bettermann wollte nur die neue Anlage begutachten, aber natürlich startete der zigfache Meister auch aktiv.

Der Termin in Wiechlice war kurzfristig anberaumt worden, weil – Ironie des Schicksals – der ursprünglich geplante Schießstand für den ersten King’s-Cup-Durchlauf in Bochnia (ehemals Salzberg) überraschend wegen Lärmbeschwerden der Anwohner am Match-Termin geschlossen war. So konnten die Starter in Wiechlice recht frühzeitig zum einen die entstehende Anlage besichtigen und ausprobieren, zum anderen auch in vielen Diskussionen mit den Betreibern eigene Anregungen und Verbesserungsvorschläge loswerden. "Hier vorne auf dem Anfahrtsweg lassen sich zum Beispiel bei größeren Wettkämpfen einige Aussteller platzieren, jeweils zwischen den schattenspendenden Bäumen. Die bekommen dann durchgehend viel Laufkundschaft, denn hier müssen Besucher wie Starter jeden Tag mehrfach vorbei", überlegte Heribert Bettermann laut. Der Supersenior aus Werl, wohl der deutsche IPSC-Schütze mit den meisten Erfolgen, hatte den all4shooters-Kontakt vermittelt. Er kennt Ullmann schon seit Jahren und möchte das Projekt unterstützen: "Ich kenne ja vergleichbar große Anlagen wie etwa Philippsburg oder Chateauroux in Frankreich, wo 2017 die Weltmeisterschaft ausgetragen wurde. Hier gibt es viel Potential, um auch internationale Veranstaltungen anbieten zu können." Sprach’s und zog weiter mit seiner Schieß-Squad. Denn natürlich musste der Altmeister auch hier aktiv mitmischen, und ebenso wurde er oft von langjährigen Mitstreitern und auch den Range Officers begrüßt – Betze kennt man eben überall.

Philipp Wessels im Wettkampf auf der neuen Bahn.
Philipp Wessels gehörte zum guten Dutzend deutscher Starter, er gewann die Classic-Wertung in Wiechlice.
Schütze mit einem Karabiner im Wettkampf.
Auch Semi-Auto-Gewehre waren beim ersten King’s Cup mit dabei, die Stages boten hier alle Möglichkeiten.

Den Ausbaumöglichkeiten nach (fast) Herzenslust und Investitionslaune sind zugegeben weniger Grenzen gesetzt als etwa in Deutschland, weil zum Beispiel Hochblenden gegen unbeabsichtigte Schüsse nicht erforderlich sind. Dass man trotzdem versucht, höchste Sicherheitsstandards einzuhalten, leuchtet schon deshalb ein, weil Unfälle und Beschwerden rasch zu Verboten durch die Behörden führen könnten, und das riskiert kein Investor. Aus Deutschland jedenfalls waren allein durch Mundpropaganda 21 Teilnehmer angereist, fast 200 aus Polen, dazu 15 aus Tschechien und jeweils einige aus Österreich, Schweden, Russland, Lettland, Litauen und Slowenien – wobei der King’s Cup aus drei aufeinander folgenden Matches bis September bestand. Wer aus Deutschland einreisen will, benötigt waffenrechtlich gesehen einen europäischen Feuerwaffenpass und eine Einladung des Veranstalters. Diese wird nach der Einladung komfortabel zum Herunterladen auf der Wettkampf-Website angeboten – unbürokratischer geht es kaum.

Die Unterbringung: Schlosshotel in direkter Nähe

Panorama des Hotels in der nähe der Schießanlage.
1795 erbaut und von Napoleons Truppen genutzt – das Gut Wichelsdorf (heute Wiechlice) wurde vor wenigen Jahren restauriert, es dient als Hotel mit Restaurant und Park.

Ebenso wichtig wie die Schießanlage an sich sind natürlich günstige Unterbringungsmöglichkeiten in der Nähe und, falls die Familie mitkommt, auch entsprechende Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung. Viele der ausländischen Teilnehmer waren im etwa fünf Kilometer von der Schießanlage entfernten Schlosshotel Palac Wiechlice in Szprotawa untergebracht (oder Gut Wichelsdorf, wie es früher hieß). In dem 1795 erbauten Hauptgebäude waren einst die preußische Armee, zaristische Offiziere und Napoleon mit seinen Truppen zu Gast (oder hatten sich einfach selbst einquartiert). Aber nach vielen Jahrzehnten vernachlässigter Instandhaltung und sowjetischer Militärbesetzung waren die Gebäude heruntergewirtschaftet. Der jetzige Besitzer hat die Anlagen historisch korrekt und behutsam renoviert und (mit Zuschüssen aus dem "Europäischen Fonds für regionale Entwicklung") in einen wunderschönen Park gebettet. Moderne Einrichtungen, ein Wellness-Bereich, Veranstaltungsräume, aber eben auch nach deutschen Verhältnissen günstige Zimmerpreise im zweistelligen Eurobereich locken viele Gäste an. Es gibt aber in den Dörfern rund um Wiechlice auch andere kleinere Pensionen, die Übernachtungen ab 15 Euro anbieten. Selbst die Anreise aus Orten auf grenznaher deutscher Seite könnte sich lohnen (etwa eine Stunde über Landstraßen durch ein Naturschutzgebiet).

Neben den Sportschützen nutzen aber auch andere Gäste die neue Schießanlage. Die Betreibergesellschaft, die inzwischen eine auch deutschsprachige Website erstellt hat, bietet auch Schießausbildung und Seminare an sowie Jagdausflüge in die nähere Umgebung, begleitet von staatlich zugelassenen Führern – das Jagdgebiet grenzt teilweise direkt an die Schießanlage. Wer weiß, vielleicht führt der Weg zu vielen weiteren Schießwettkämpfen demnächst entlang der A4 über die sächsischen Sandsteingebirge und schlesischen Hügel nach Wiechlice? Das Engagement der Betreiber um Josef Ullmann könnte sich rasch auszahlen, und die Großkaliberschützen hätten eine lohnenswerte Adresse mehr.


Text: Ulrich Eichstaedt
Redaktion: Matthias S. Recktenwald