Mythos Wieger Sturmgewehr: Auf der Sonderausstellung im Waffenmuseum Suhl

Schnittmodell AK-47 im Detail.
Das Schnittmodell einer AK-47 im Detail. In der Anfangszeit widmete sich Wiesa dem Nachbaut sowjetischer Lizenzen.

Den Namen Kalaschnikow kennt jeder. Den Namen Wieger dagegen kaum jemand. Dabei steht hinter dem letzten Namen eine Lizenzproduktion der Kalaschnikow, die im Laufe der Jahre, was Trefferleistung, Robustheit und Zuverlässigkeit betrifft, anderen Derivaten den Rang ablief. Und diese Waffen waren "Made in Germany", genauer gesagt "Made in GDR" (German Democratic Republic). Schon kurz nach dem Beitritt des ostdeutschen Staates zum Warschauer Vertrag fiel die Entscheidung zum Aufbau einer eigenen Waffenproduktion. In Wiesa in der Nähe von Annaberg-Buchholz entstand der Betrieb "VEB Geräte- und Werkzeugbau Wiesa", der sich in der Anfangszeit vor allem dem Nachbau von sowjetischen Lizenzen widmete. Doch spätestens in den 1970er Jahren flossen zunehmend eigene Ideen zur Verbesserung der Technik und der Produktion mit ein. So wich man an entscheidenden Stellen von den Lizenzproduktionen ab, um eben die Lizenzen nicht zu verletzen. So entstand die Sturmgewehrfamilie Wieger – der Name setzt sich zusammen aus den Worten Wiesa und Germany beziehungsweise Gerätewerk. Und die Waffen sorgten alsbald für Furore.

Die Wende, das Ende! Wieger-Sturmgewehre werden eingestellt

Sturmgewehr aus den Wieger-Werken in der kompletten Ansicht.
Zuerst stellte man in Wiesa vor allem Lizenzprodukte her. Später schuf man dann mit der Wieger ein System, das vor allem Devisen bringen sollte.

In internationalen Vergleichen konnten die Wieger-Produkte zeigen, zu welchen Leistungen sie fähig waren. So gab es viele Aufträge über große Stückzahlen, die jeden Beteiligten in Begeisterung versetzten, waren diese Bestellungen doch eine Bestätigung für die gute Arbeit. Um Devisen zu beschaffen, sah man die Wieger-Gewehre sogar für den Export vor. Entsprechende Verträge waren schon unterzeichnet. Das alles nutzte aber nichts, denn mit der Wende und dem Zusammenbruch des Ostblocks kam das Ende. Ende 1989 erfolgte der Beschluss zur schrittweisen Einstellung der Waffenproduktion in der DDR und im darauffolgenden Jahr schließlich die Abwicklung des Betriebs. Warum dies geschah, dazu gibt es unterschiedliche Ansichten. Was die Waffen der Sturmgewehrfamilie Wieger und die Produktionsstätten anging, so waren sie auf einem ganz anderen, nämlich höheren Stand, als andere Teile der Wirtschaft der DDR. Ob man vielleicht Konkurrenz vom Markt haben wollte? Wie dem auch sei, GWB Wiesa trat den Gang in die Geschichte an und tauchte nun im Rahmen der Ausstellung in Suhl – wenn auch verspätet – wieder auf.

Die Ausstellung im Waffenmuseum Suhl

Eigentlich war die Ausstellung im Waffenmuseum Suhl für Mai 2020 avisiert worden, man hatte sich Exponate und Unterstützung etwa von der Wehrtechnischen Studiensammlung (WTS) in Koblenz und dem Militärhistorischen Museum der Bundeswehr (MHM) in Dresden gesichert. Doch die Corona-Pandemie machte dem Ganzen sprichwörtlich einen Strich durch die Rechnung. Als dann die Nachricht eintraf, dass die Ausstellung im September 2020 ihre Pforten öffnen würde, war die Spannung und die Erleichterung groß, hatten die Verantwortlichen doch viel Zeit und Mühe in die Arbeiten rund um die Schau investiert. Aber am 4. September 2020 war es endlich soweit. Die Pforten zur Sonderausstellung öffneten sich und der Kurator, Professor Dr. Rigo Herold, führte persönlich den ersten Schwung an Gästen durch die Räumlichkeiten. Er erklärte auch, warum die Stadt Suhl eine enge Verbindung zu den Wieger-Sturmgewehren aufweist. Der Betrieb in Wiesa verfügte über ein dichtes Netz an Zulieferbetrieben, in dem die Stadt mit dem Waffenmuseum eine wichtige Rolle einnahm. So kamen Läufe, Gaskolben und Schlossführungen aus dem VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk Suhl. Und was man mit der Sturmgewehrfamilie im Osten Deutschlands schuf, nötigt technische Bewunderung ab. So entstanden in den Jahren 1959 bis 1966 AK 47 mit Holzkolben oder nach unten klappbarer Schulterstütze. Es folgten diverse Modelle der AKM und AK 74 – bis hin zu Prototypen, die nie in Serie gingen.

Gruppenfoto mit Professor Rigo Herold ganz rechts.
Professor Rigo Herold (r.) führte erste Gäste durch die Ausstellung und bedankte sich für vielfältige Unterstützung, etwa durch WTS (Koblenz) und MHM (Dresden).
Viele Besucher auf der Eröffnungsveranstaltung zur Sonderausstellung Wieger.
Trotz der Corona-Beschränkungen war die Ausstellung direkt gut besucht – das große Interesse überraschte selbst die Ausstellungsmacher.

Nicht nur Sturmgewehre: Das Selbstladejagdgewehr Speger

Selbstladejagdgewehr 917 Speger in der Komplettansicht.
Das Selbstladejagdgewehr 917 Speger kann man ebenfalls in der Sonderausstellung bewundern.

Ein ganz besonderes Stück stellte eine Waffe mit der Bezeichnung Speger dar. Dahinter verbirgt sich ein Selbstladejagdgewehr. Es hatte zum Ziel, die vorhandene Produktionstechnik der AKM mit einigen Modifikationen so umzustellen, dass sich mit der Speger der nationale und internationale zivile Markt bespielen ließ. Es entstanden von dieser Waffe rund 120 Stück im Jahr 1985. Und man präsentierte das Gewehr auf der Frühjahrsmesse in Leipzig. Wie bei den meisten Jagdgewehren üblich, war auch das Speger-Gewehr für die Aufnahme eines Zielfernrohrs vorgesehen. Die Aufnahme der AKM für Nachtsichtgeräte kam dafür zum Einsatz. Diese und andere Dinge musste man überdenken und schuf eine Waffe im Kaliber 7,62 Millimeter, bei der "das Wild beim ersten Schuss immer zusammengebrochen war". Durchsetzen konnte sich die Speger jedoch nicht mehr.

Die Sturmgewehre Wieger

Was den Kern der Ausstellung anging, so führte man die Wieger-Familie auf die Zahl 940 zurück (gemäß des Baukastensystems 900 in Wiesa, nach dem sich alle Produkte richteten). Interessant an den Wiegers dürfte vor allem sein, dass sie im NATO-Standardkaliber 5,56 Millimeter gefertigt wurden. Die Wieger 941 orientiert sich an der AK 74 beziehungsweise AKM. Doch das Design der Wieger unterschied sich eben von jenen aus der weiter östlichen Fertigung, auch was die Qualität anging. Das Wieger 942 lehnte sich etwa an die AKMS an, doch die Schulterstütze entwickelte man in der DDR neu und stattete die eigene Waffe damit aus. Und diesem Muster folgte man konsequent. Schließlich entstand mit der Baureihe 950 eine Kopie der Baureihe 920, also der AK 74, die man dann im Design der Baureihe 940 (Wieger) produzierte. Und allein die Stücke zu dieser Geschichte zu sehen, ist faszinierend, kennt man doch das Aussehen der AKs, muss aber erst begreifen, dass es hier Stücke sind, in denen wieder deutsches Wissen steckt. Leider ging viel während der Wendezeit verloren, da viele Unterlagen vernichtet wurden. Aber es gab noch genug, um die Geschichte zu erzählen. Und mit den Waffen alleine hörte es ja nicht auf. Dazu gehörte ebenso zahlreiches Zubehör. Abschussbecher, Wartungs- und Instandhaltungskasten, Magazintasche, Tragegurt, Kampfmesser und vieles mehr standen parat.

Das Sturmgewehr Wieger 943 in der Komplettansicht.
Das Wieger Modell 943 – es basiert auf dem Konzept eines Baukastens, mit dem man sich seine Waffe zusammenstellen kann.

Arbeit beim VEB Geräte- und Werkzeugbau Wiesa

Auf einen anderen Aspekt wies Professor Dr. Rigo Herold bei der Eröffnungsveranstaltung der Ausstellung gesondert hin: Die Arbeitsbedingungen in Wiesa. Heute wird ja allgemein diskutiert, wie Familie und Arbeit zusammengeführt werden können, neben der Herausforderung der Digitalisierung unserer Gesellschaft. Auch wenn man Ende der 1980er Jahre nicht so weit war wie heute, so gab es im VEB Geräte- und Werkzeugbau Wiesa einen Betriebskindergarten, einen Betriebsarzt, eine eigene Werksküche, eigene Ferieneinrichtungen, einen kostenlosen Werksverkehr und anderes mehr. Selbst wenn jetzt das Argument kommt, dass die DDR gerade wegen dieser "sozialen Überversorgung" wirtschaftlich den sprichwörtlichen Bach hinunterging, könnte man ja quasi umgedreht fragen, warum Konzerne mit Milliardengewinnen nicht in der Lage sind, so etwas auch anzubieten. Wichtig erscheint es aber auf alle Fälle, auch die sozialen Aspekte rund um die Waffenproduktion in der DDR zu erhellen. Denn nur der Blick auf das Ganze offenbart auch alles.

Bekannte Gesichter der Branche beim Gruppenfoto.
Vor Ort (v.l.): Torsten Kortemaier (Noblex), Ingo Breidenstein, Eduard Mijal (beide Waimex), Michel Erbert (Museum Suhl).

Zum Abschluss: Die Sonderausstellung im Waffenmuseum Suhl ist ein lohnendes Ziel

Die Ausstellung rund um die Wieger-Sturmgewehre und das "Drumherum" sind ein waffentechnischer Leckerbissen. Das Verdienst für diese gelungene Schau gebührt allen Beteiligten, die es geschafft haben, eine beeindruckende Sammlung an Originalen zusammenzutragen und alles so schön und informativ aufzuarbeiten. Zumal wieder einmal unterstrichen wird, dass die DDR auf so manchem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anscheinend doch nicht so unterlegen war, wie vielfach kolportiert. Noch bis zum 31. Dezember 2021 kann man in Suhl auf die Spuren der Wiegers gehen. Aber auch sonst lohnt ein Besuch im Waffenmuseum, in Suhl und in Thüringen. Jedenfalls, sofern die Pandemie-Situation dies wieder zulässt.