Lassen wir zu Beginn einen der ganz großen unseres Metiers zu Wort kommen; John Howard „Pondoro“ Taylor vertritt in seinem Klassiker „African Rifles and Cartridges“ von 1948 die Ansicht, die .375 Holland & Holland Magnum sei das beste Medium-Kaliber für Jagden in Afrika. Ein klares Wort, dem sich viele Großwildjäger auf allen Kontinenten anschließen werden.
Die von der Londoner Edelwaffenschmiede Holland & Holland entwickelte .375 Belted Rimless Magnum Nitro Express kam 1912 auf den Markt. Noch im gleichen Jahr trat sie als „.375 Holland & Holland Magnum“ ihren Siegeszug insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent an.
Randbedingungen
Die „.375 H&H“ zählt bis heute zu den beliebtesten randlosen Großwildpatronen - oft kopiert, selten übertroffen.
Parallel zu der wohl bekanntesten Afrika-Patrone entstand die etwas schwächere .375 Holland & Holland Flanged Magnum Nitro Express. Diese Randversion für Kipplaufwaffen wir heute meist .375 Flanged genannt. Sie hatte in den vergangenen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts an Bedeutung verloren, weil man waffentechnisch mit entsprechenden Ausziehern beziehungsweise Ejektoren in der Lage war und ist, auch randlose Patronen in Kipplaufwaffen zu verwenden.
Seit einigen Jahren erlebt die .375 Flanged allerdings erfreulicherweise eine Renaissance.
Auch für mich gehören Randpatronen in Kipplaufwaffen und Blockbüchsen, besonders in solche, die auf gefährliches Wild wie die Big Five (Elefant, Büffel, Löwe, Leopard und Nashorn) und die großen Bären geführt werden. Die stabilen Auszieher oder Ejektoren funktionieren bei Randhülsen einfach sicherer.
Die gefederten Auszieherkrallen, die in die Rillen randloser Patronen greifen, sind zweifellos ein waffentechnischer Schwachpunkt. Wenn im heißen Afrika wegen erhöhten Gasdruckes oder Staubes die Hülsen in den Patronenlagern „festbacken“ und man die Waffen mit Gewalt öffnet, besteht die Gefahr, dass die filigranen Auszieherkrallen beschädigt werden.
Das kann bei Nachsuchen auf Büffel oder Löwe fatale Folgen haben.
Dazu ein selbst erlebter Fall: Anlässlich einer Jagd in Burkina Faso suchte ein Berufsjäger (Professional Hunter) den Büffel eines Mitjägers nach. Der PH führte eine günstig erworbene (warum wohl?) Doppelbüchse ohne Ejektor eines bekannten deutschen Herstellers in dem randlosen Kaliber .416 Rigby. Auch für mich eines der besten Großwildkaliber in Repetierbüchsen bei der Jagd auf Dickhäuter und anderes Großwild. Während der Nachsuche fielen in kurzen Zeitabständen mehrere Schüsse …
... und dann saßen die Hülsen in der heißgeschossenen Doppelbüchse fest. Mit Gewalt wurde sie geöffnet. Eine Auszieherkralle war nun so verbogen, dass die Büchse für den Rest der Saison im Camp blieb. (Der Büffel kam trotzdem zur Strecke.) Warum solche Risiken eingehen? Die Palette der Randpatronen ist wahrlich groß genug!
Und noch ein Beispiel, ganz frisch, aktuell auf dem Schießstand „erlebt“. Ein Jäger auf der Bahn neben mir gab einen Kontrollschuss aus seiner Blockbüchse in .243 Winchester Magnum ab. Nach dem ersten Schuss steckte die Hülse „unverrückbar“ im Patronenlager fest. Ein Reinigungs-stock zum Herausstoßen der Hülse war nicht parat.
Mit einer Randpatrone wäre das vermutlich nicht passiert. Also, wenn es denn eine Doppelbüchse in .375 sein soll, halte ich „die Flanged“ für die richtige Wahl, auch wenn sie etwas weniger Leistung bringt (E0 rund 5500 Joule), als die randlose Version (E0 gut 6000, jeweils mit 300- Grains-Geschossen).
Fabrik-Patronen der „Flanged“ sind allerdings rar. Wolfgang Romey fertigt zwei Laborierungen mit 300-Grains-Geschossen (Voll- und Teilmantel) von Woodleigh, die klassische Kombination für Afrika.
Nicht-Wiederlader sollten sich für ihre Doppelbüchsen allerdings einen „lebenslangen“ Vorrat mit denselben Losnummern zulegen. Ansonsten kann es teuer werden, wenn die Läufe mit Patronen einer anderen Losnummer - das kann selbst bei derselben Laborierung vorkommen - nicht mehr zusammenschießen und neu garniert werden müssen.
Nach diesem kleinen Exkurs über die .375 Flanged zurück zur randlosen .375 mit Gürtelhülse. Sie passt nur mit gekonnter Nacharbeit eines guten Büchsenmachers in ein „normales“ Mauser-System.
Besser verwendet man ein Magnum-System oder einen der vielen fast identischen Ableger, wie das erwähnte tschechische CZ 550 Magnum. Auch die zahlreichen amerikanischen Nachbauten mit langem, nicht rotierendem Auszieher bieten eine Alterantive. Bei der Jagd auf „Dangerous Game“ (gefährliches Wild) halte ich das „gute alte“ Mauser-System mit seinem langen Auszieher für unübertroffen sicher und robust.
Dabei muss ich gestehen, dass ich seit fast 20 Jahren vollkommen zufrieden eine Sauer 202 Alaska in .375 führe. Sie hat mich noch nie bei meinen Jagden in Europa, Asien, Afrika und Nord-amerika im Stich gelassen. Wenn etwas „schief“ ging, lag es immer an mir.
Einzig: Nach über 15 Jahren habe ich neue Magazine bestellt. Die Federn zeigten sich nach dieser langen Zeit „schlapp“, und die Patronen wurden nicht mehr sauber zugeführt. Nebenbei bemerkt, besitzen Wechselmagazine auch Vorteile: Schnelles Laden und Entladen sowie in kritischen Situationen rascher Magazinwechsel … nur herausfallen sollten sie nicht, wenn es ernst wird. Deshalb plädiere ich bei Jagden auf gefährliches Wild für fest eingebaute Magazine, auch wenn ich im Falle meiner Sauer diesem Prinzip untreu geworden bin. Aber die Magazine habe ich bei dieser Büchse auch noch nie verloren.
Güterabwägung
Die .375 H & H ist wohl die am weitesten verbreitete und am meisten verschossene Patrone bei der Großwildjagd in Afrika. Mit entsprechenden Laborierungen lässt sie sich auf alle Wildarten vom kitzgroßen Ducker bis zum Elefanten einsetzen. Bei Duckern und anderen Kleinantilopen verwende ich übrigens gern die .375 mit Vollmantelgeschossen.
Die Wildbretzerstörung ist minimal. Das ist nicht nur gut für die Küche, sondern auch für den Präparator.
Als es in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts größere Probleme mit der Beschaffung der alten Express-Patronen gab, griff man zur .375 (oder .458 Winchester Magnum). Nie gab es Eng-pässe bei der Lieferung, so dass auch die Palette der Waffen für diese Universalpatrone groß ist. Zahlreiche Berufsjäger führen sie heute noch als Backup-Büchse oft in der preiswerten tschechischen CZ 550 Magnum.
Man muss aber präzise schießen, wenn man mit der .375 den Angriff eines krankgeschossenen Büffels rechtzeitig stoppen will. Eine Doppelbüchse in .470 Nitro Express oder ein Mauser-Magnum-Repetierer in .416 Rigby ist in solchen Fällen wohl die bessere Wahl. Allerdings bekommt man .375-Patronen fast immer auch im kleinsten Waffengeschäft „in the End of No-where.“ Und noch dazu deutlich mehr Patronen fürs selbe Geld.
Die Zeiten sind endgültig vorbei, in denen Einzelne hunderte oder gar mehr als 1000 Elefanten und Büffel geschossen haben. Die auch in Afrika schrumpfenden Wildnisgebiete verlangen einen verantwortungsvollen, schonenden Umgang mit dem Wild. Doch warum sind die heutigen Afrikajäger mit der .375 gut bedient?
Da wäre zunächst der schon erläuterte Aspekt des Universalkalibers. Aber die - und damit auch die .375 H & H - haben einen nicht zu unterschätzenden Nachteil. Bösartig formuliert, ließe sich dieser wie folgt beschreiben: „Für alles zu gebrauchen, aber für nichts perfekt!“
Mit rund 800 Metern pro Sekunde Mündungsgeschwindigkeit ist die .375 H & H nicht gerade eine Weitschusspatrone. Und bei der Jagd auf Elefant und Büffel liegt sie mit ihren rund 6000 Joule an der unteren Leistungsgrenze.
So kann es gehen
Aber viele Jäger werden in ihrem Leben nicht oft auf Dickhäuter jagen, höchstens einmal einen Büffel erlegen. Warum also für diese eine Jagd extra eine Waffe kaufen? Wer beim Schießen kein Risiko eingeht, wird seinen Büffel auch mit der .375 erbeuten. Das gilt natürlich nur, sofern der Jäger zuvor auch eifrig auf dem Schießstand übt.
Den sichersten Schuss gibt man auf den breit stehenden Dickhäuter, direkt über dem Vorderlauf im unteren Drittel des Wildkörpers, ab. Für den ersten Schuss verwende ich ein hartes Deformationsgeschoss wie etwa das Barnes X. Mit Herz- oder beidseitigem Lungentreffer wird der Büffel nach kurzer Todesflucht verenden. Ideale Schussentfernungen liegen unter 50 Meter.
Vorsicht bei spitz oder halbspitz stehendem Wild. Trifft man beim Büffel (und Elefanten) nur einen Lungenflügel, wird es zu einer langen Nachsuche kommen. Oft gehen diese Stücke verloren - sogar der „Homo sapiens“ heilt ja einseitige Lungentreffer mit Militär-Vollmantelgeschossen gelegentlich aus.
Geschossen wird, solange das Wild auf den Läufen ist und man es sieht. Deshalb beim ersten Schuss nicht zu weit schießen! Ab dem zweiten verwenden die meisten wegen der besseren Penetration auf das spitz oder halbspitz wegflüchtende Wild Vollmantel-Geschosse oder Solids. Bei diesen Schüssen, auch spitz von vorn in einem Angriff (Charge), ist man mit der .375 allerdings „unterversorgt“. Man trifft halt nicht immer Gehirn oder Wirbelsäule.
Aber kaum einer jagt heute noch auf eigene Faust Dickhäuter und anderes gefährliches Wild, und der begleitende PH sollte seine Backup-Büchse beherrschen. Wer jedoch „Büffel-besessen“ ist, und davon kenne ich einige, wird sich irgendwann eine Büchse in einem der vielen „4er“-Kaliber zulegen. Sei es zum Beispiel eine .416 Rigby in einem Repetierer mit Mauser Magnum-System oder eine Doppelbüchse in .470 Nitro Express. Für die Elefantenjagd sind Vollmantelgeschosse oder Solids Pflicht.
Güterabwägung II
Nun der zweite Nachteil der .375, keine wirkliche Weitschusspatrone zu sein. Bei Plainsgame-Jagden im offenen Gelände, wie auf Springböcke in Namibia, wird gelegentlich auf 300 Meter und weiter geschossen. Rasante 300er Kaliber sind hier besser. Aber die meisten schießen unter jagdlichen Bedingungen nicht über 200, maximal 250 Meter.
Bis zu diesen Distanzen zeigt die .375 ihre Stärken.
Bei Jagden auf Großantilopen wie Eland (800 Kilogramm Lebendgewicht) oder Roan (Pferdeantilope, Gewicht bis 300 Kilogramm) halte ich sie für optimal, ebenso, wenn es den beiden großen Katzen, Löwe und Leopard, gilt. Auch Schwarzbär und Grizzly habe ich erfolgreich damit bejagt, ebenso starkes Rot- und Schwarzwild in Europa und Elche in Kanada. Bei Stücken über 200 Kilo ist die Wirkung mit Deformationsgeschossen, die kaum Gewicht verlieren, perfekt.
Die Leistung entspricht ja fast derjenigen der 9,3 x 64, so dass man sie auch sehr gut auf starkes heimisches Hochwild einsetzen kann. Die 9,3 hat aber den nicht zu unterschätzenden Nachteil, dass sie in vielen afrikanischen Ländern nicht auf Büffel & Co. zugelassen ist. Mindestkaliber sind dort 9,5 mm, also .375.
Theoretiker empfehlen für die Löwenjagd das weiche „Lion Load“ von A-Square. Alle Berufsjäger, mit denen ich darüber gesprochen habe und die regelmäßig Gäste auf Löwen führen, halten es für zu weich. Da ich nur einen Löwen erlegt habe, maße ich mir kein Urteil an. Aber den Kuder er-beutete ich mit meiner .416 Rigby (410 Grains Woodleigh Teilmantel von Romey). Der Hoch-blattschuss durch Schulterknochen und Wirbelsäule hat auf 70 Schritt keinen Ausschuss gebracht!
Wie hätte das wohl mit „Lion Load“ in .375 Holland & Holland ausgesehen, ganz zu schweigen von einem Charge spitz von vorn bei einer Nachsuche? „Use enough gun!“ („Nimm ausreichend Waffe!“), sprich ein ordentliches Kaliber und die richtigen Laborierungen. Das könnte man hier abschließend sagen. Weiche Zerlegungsgeschosse sind bei der Großwildjagd die falsche Wahl.
100 Jahre und kein bisschen leise - die .375 H & H
Henry Holland erhielt bereits 1904 ein Patent auf eine randlose Gürtelpatrone im Kaliber .375: die .400/.375 Express. Diese Patrone firmierte unter der Verkaufsbezeichnung .375 Veloplex. Anders als häufig erzählt, sollte der Gürtel nicht der Verstärkung der Hülse dienen, sondern in erster Linie Probleme beim Zuführen der Patrone aus dem Magazin verhindern. Außerdem bildet die Hülse ihren Verschlussabstand über diesen Ring.
Als Großwildpatrone konnte sich die Veloplex jedoch nicht durchsetzen. Spätestens das Erscheinen der 9,5 x 57 mm Mannlicher-Schönauer beendete die Ambitionen der Veloplex in Richtung „Big Game“. Die leistungsstärkere gürtellose Patrone mit nahezu gleichem Geschoss-durchmesser (.375 = 9,525 mm) breitete sich vor allem in den britischen Kolonien auf dem Schwarzen Kontinent rasch aus. Hierzu trug auch die große Verfügbarkeit preiswerter Mannlicher-Systeme bei.
Daraufhin entwarf Henry Holland die noch stärkere .375 Belted Rimless Magnum Nitro Express. Er präsentierte die Patrone 1912 zusammen mit einem dafür leicht modifizierten Mauser M 98-Repetiererer und brachte sie als .375 Holland & Holland auf den Markt.
Fast zeitgleich erschien die etwas schwächere Randvariante .375 Flanged Magnum Nitro Express (.375 H & H flangend). Holland hatte die Weitsicht, die Patrone unter der Bezeichnung „Holland & Holland“ zu verkaufen.
Das zahlte sich aus: Der große Erfolg machte den Firmennamen weltberühmt.
Ein All4Shooters-Beitrag von