Die Kurzwaffe im Polizeidienst: Welche Pistolen führen die deutschen Polizisten?

Worauf kommt es bei polizeilichen Dienstpistolen an?

Polizist im Training mit SIG Sauer P320 im Anschlag
Modularität: Die SIG Sauer P320 lässt sich mit hauseigenen Optiken und Waffenleuchten ausrüsten.

Für Dienstpistolen gelten in Deutschland strenge Anforderungskriterien. Diese Kriterien finden sich niedergelegt in der Schrift "Technische Richtlinie (TR) Pistole 9 mm x 19" des Polizeitechnischen Instituts der Deutschen Hochschule der Polizei. Dabei handelt es sich um ein "lebendes Dokument", in das immer wieder weitere technische und taktische Neuerungen einfließen. Der aktuelle Stand der TR datiert vom Januar des Jahres 2008. 

Die Modifikationen erfolgen nicht ohne Grund. Schon seit geraumer Zeit hat sich die Schießausbildung mit der Kurzwaffe im polizeilichen Bereich deutlich verändert. Gerade bei den Gesetzeshütern kann sie sich nicht auf bloßes dynamisches oder gar nur statisches Schießen beschränken. Denn die polizeiliche Schusswaffenpraxis umfasst schon das "streifenfertige Führen" und erstreckt sich weiterhin über die verschiedenen Sicherungs- und Schießhaltungen bis hin zum tatsächlichen Zielen und Treffen. Neben taktischer Lage, Aspekten der Eigensicherung und Umfeldgefährdung muss der Polizist darüber hinaus jederzeit die Verhältnismäßigkeit beachten. Lagen können in wenigen Augenblicken eskalieren und wieder deeskalieren, so dass der Schusswaffengebrauch nicht mehr geboten erscheint und stattdessen zu einem anderen Einsatzmittel gegriffen werden muss. In dieser Konsequenz liegt der Pistole nach heutigem Verständnis wie bei jeder anderen Waffe auch ein Systemansatz zu Grunde.

Walther P99 DAO in verschiedenfarbigen Ausbildungsvarianten
Die unterschiedlichen Farben verraten die jeweiligen Einsatzzwecke der P99 DAO: grün = Lasermarkierer, blau = Farbmarkierungsmunition, rot = Trainingswaffe ohne Schussfunktion, schwarz = Dienstwaffe.

Zum System Pistole gehört weiteres Zubehör. Allen voran zählt hierzu die Munition, für die ebenfalls strenge Kriterien gelten. Sie finden sich in der TR "Patrone 9 x 19 mm schadstoffreduziert". Weiterhin gehört ein geeignetes Holster dazu. Es muss die Waffe sicher einsatzbereit halten, schnell für ihren Träger freigeben und umgekehrt vor unberechtigtem Zugriff schützen. Dazu kommen Magazine und Magazintaschen, Ausbildungsmaterial und die Ausbildung selbst. Inzwischen gehört es zur Praxis, Schieß- und Einsatztraining – also taktisches Abarbeiten von Einsatzlagen – miteinander zu verbinden. Je nach Gestaltung der Ausbildung und Art der Ausbildungseinrichtung – etwa Schießkino – stehen hierfür besonders eingefärbte Trainings- und Ausbildungsmodelle der Dienstpistole zur Verfügung. Im Rahmen von Neubeschaffungen schreiben Behörden diese "Familienmitglieder" meist gleich mit aus.

Die steigende Zahl von Waffenträgerinnen machte sich bei den jüngeren Beschaffungen ebenfalls bemerkbar. Da die Damen meist kleinere Hände haben, gehören individuell anpassbare Griffgrößen inzwischen zum Standard neuer Pistolenfamilien.

Einen weiteren weltweiten Standard stellt die Modularität dar. In dieser Konsequenz bieten heutige Hersteller ganze Kurzwaffenfamilien an, die neben den Standardgrößen auch kompakte und subkompakte Versionen umfassen. Diese Pistolenfamilien zeichnen sich durch Teilegleichheit und identische Bedienung aus, um Logistik und Ausbildung zu vereinfachen. Oft lassen sich die Pistolen auch durch zusätzliche Bedienelemente modular erweitern oder verändern.

Auch ein weiterer Aspekt der Modularität heutiger Dienstpistolenfamilien sei noch angesprochen: Sie gilt weiterhin im Hinblick auf Zurüstmöglichkeiten von Laser-Licht-Modulen und weiterer Anbauteile. Ebenfalls gehören unterschiedliche mechanische und zunehmend optische Visierungen, unterschiedliche Lauflängen, Schalldämpfer oder Magazine mit unterschiedlich hohen Kapazitäten zu diesen "Systembaukästen". Als besonders benutzerfreundlich gilt es, wenn sich die Waffe durch den Anwender selbst auf den jeweiligen Einsatzzweck hin "im Felde" konfigurieren lässt.

Beschaffungsprogramme für Dienstpistolen in Deutschland:

SIG Sauer P6 (oben) und SIG Sauer P226 mit Waffenleuchte
Klassiker: Die SIG Sauer P226 mit Stahlgriffstück und Waffenleuchte unten steht im Dienst des SEK NRW, darüber eine ehemalige P6 der Bundespolizei, die ihren Weg zu den Kollegen nach Sachsen-Anhalt fand.

In Deutschland löst bereits seit einigen Jahren eine 2. oder sogar 3. Generation die Ende der 1970er Jahre eingeführte 1. Generation von TR-qualizierten Polizei-Dienstpistolen ab. Dabei bilden der Abschied vom Hybridsystem mit Abzugs-/Hahnspannung (Double Action/Single Action) und der Einzug des Schlagbolzenschlosses wesentliche Einschnitte.

Den Anfang machten Niedersachsen 2001 mit der P2000 V2 und Baden-Württemberg 2003 mit der P2000 V5, beide Waffen von Heckler & Koch (kurz: HK). 

Nordrhein-Westfalen entschied sich Anfang 2006 für die Walther P99 DAO, eine Waffe mit Schlagbolzenschloss. Das Projektteam im zuständigen Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste nahm 2003 seine Arbeit zur Ablösung der Pistole P6 alias SIG Sauer P225 auf. Das Team legte Wert darauf, keine Teil- oder Vorspannung des Abzugs und damit keine Kräfte innerhalb der Waffe zu haben. Seit 2008 leistet die Walther P99 DAO flächendeckend bei den Schutzleuten des bevölkerungsreichsten Bundeslandes Dienst.

Einen anderen Weg gingen Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein ab 2009. Sie setzten auch auf die Walther P99, in der Version Q für "Quick Defense". Die P99 Q ist strikt nach den Forderungen der TR Stand Januar 2008 entwickelt. Sie arbeitet ebenfalls als mechanisch verriegelter Rückstoßlader mit beweglichem Rohr und automatischen Sicherungen. Das teilgespannte Schlagbolzenschloss der P99 Q erlaubt bei einem Anzündversager ein beliebig häufiges, erneutes Abziehen (Reset-Funktion) – ähnlich der Funktion von Waffen mit klassischem Double-Action-Only-Abzug (kurz: DAO).

Zu den weiteren modernen Modellen zählt die Heckler & Koch P30, ein Modell mit Hahnschloss aber verdecktem Hammer. Sie steht in der Variante V6 seit 2007 beim Zoll und in der Version V2 seit 2009 bei der Bundespolizei sowie seit 2010 in Hessen im Dienst. Diese werden in Hessen bei der Bundespolizei und der Bundeszollverwaltung eingesetzt.

Bayern, Berlin und Brandenburg stellten erst kürzlich die Heckler & Koch SFP9 in Dienst und Sachsen-Anhalt entschied sich im Januar 2019 für die GLOCK 46, die als einzige Pistole des österreichischen Herstellers über einen Drehlaufverschluss verfügt und damit die Technischen Richtlinien der deutschen Polizei erfüllt.

Welche Pistole ist aktuell wo im polizeilichen Einsatz?

Behörde/Bundesland Dienstpistole Modell
Bundeskriminalamt SIG Sauer P229
Bundespolizei Heckler & Koch P30 V2
Bundeszollverwaltung Heckler & Koch P30 V6
Baden-Württemberg Heckler & Koch P2000 V2
Bayern Heckler & Koch SFP9
Berlin Heckler & Koch SFP9
Brandenburg Heckler & Koch SFP9
Bremen Walther P99 Q
Hamburg Walther P99 Q
Hessen Heckler & Koch P30 V2
Mecklenburg-Vorpommern Heckler & Koch SFP9
Niedersachsen Heckler & Koch SFP9
Nordrhein-Westfalen Walther P99 DAO
Rheinland-Pfalz Walther P99 Q
Saarland Heckler & Koch P10
Sachsen Heckler & Koch SFP9
Sachsen-Anhalt GLOCK 46
Schleswig-Holstein Walther P99 Q
Thüringen Heckler & Koch P10

Wohin entwickeln sich die Pistolen für den Polizeidienst?

B&T USW in linker Seitenansicht mit angeklappter Schulterstütze.
Die Universal Service Weapon von B&T bietet dank ausklappbarer Schulterstütze und optischer Visierung (Aimpoint) höhere Präzision auf weitere Distanzen und schließt die Lücke zur Maschinenpistole.

Der jetzt nahezu abgeschlossene Generationswechsel bei den Dienstpistolen der Gesetzeshüter bringt einige Verbesserungen mit sich. Zunächst senken moderne Materialien das Gewicht der Waffen, so dass die in der TR vorgegebenen 900 g Leergewicht regelmäßig unterboten werden – nicht zu unterschätzen, für den täglichen Tragekomfort. Weiterhin lassen sich die Waffen besser an den individuellen Waffenträger oder eben an die Waffenträgerin anpassen. Und ergonomische Vorteile tragen zur sicheren Handhabung und letztlich auch zur Treffsicherheit bei. Der Abschied vom Double-Action-/Single-Action-Abzug vereinfacht den polizeitaktischen Umgang mit der Kurzwaffe, weshalb sich die Schutzleute besser auf die Lage konzentrieren können. Das kann die Sicherheit ebenso deutlich steigern. Die höheren Magazinkapazitäten verdoppeln nahezu die Feuerkraft im Worst-Case-Szenario. Dennoch bleiben stetige Aus-, Fort- und Weiterbildung die Garanten, um sich im Fall der Fälle auf den stetigen Begleiter verlassen zu können.

Das sind die Technischen Richtlinien TR für Polizeiausrüstung:

Bundespolizisten im Training mit blau gefärbte Farbmarkierungsvarianten der P30 V2.
Bundespolizisten im Training für "Komplexe lebensbedrohliche Einsatzlagen". Hier führen sie blau gefärbte Farbmarkierungsvarianten der P30 V2.

Das Polizeitechnische Institut PTI der Deutschen Hochschule der Polizei wirkt unter anderem an den Technischen Richtlinien TR für Führungs- und Einsatzmittel mit. Diese Dokumente legen die technischen Leistungsmerkmale zu beschaffender Ausrüstung auf der Grundlage der taktisch-betrieblichen Anforderungen der Polizei fest. Die aktuelle Technische Richtlinie TR "Pistole 9 mm x 19" datiert vom Januar 2008. Zu den Kriterien für eine moderne Dienstpistole gehört hohe Funktionssicherheit insbesondere mit der polizeilichen Einsatzmunition. Auf 25 m sollen bei der Pistole alle 10 Prüfschüsse aus einer Anschussmaschine in einem 16-cm-Treffkreis liegen.

Weitere Anforderungen sind: Maximalgewicht mit leerem Magazin 900 g, Maße 180 x 34 x 130 mm (LxBxH; Richtwert), dunkle und reflexionsarme Oberfläche, Schussbelastungslebensdauer von 10.000 Schuss, Verschleißteile 5.000 Schuss. Dazu kommen anpassbare Griffgrößen, beidseitige Bedienbarkeit, keine manuelle Sicherung sowie ein relativ hohes Abzugsgewicht von mindestens 30 Newton beim Erst- und 20 Newton bei Folgeschüssen. Zulässig sind klassische Spannabzüge mit zwei Abzugswiderständen, aber auch solche mit gleichbleibendem Abzugswiderstand – diese Gleichberechtigung ging zuerst 2003 in das Dokument ein. Ebenso muss die Pistole über eine Anzündsicherung verfügen und sich ohne Betätigen des Abzugs entspannen und zerlegen lassen. Fall und Stoß dürfen keine Schüsse auslösen. Zudem muss die Geschossvorlagefähigkeit gegeben sein: Bei einem Steckschuss muss die Waffe mindestens noch einen weiteren Schuss aushalten. 

Die TR "Patrone 9 x 19 mm schadstoffreduziert" vom September 2009 legt unter anderem folgende Forderungen an Polizeigeschosse fest: "Geringe Gefährdung Unbeteiligter, geringe Abprallergefahr, große Energieabgabe auf Weichziele zur Erzeugung der Angriffs- und Fluchtunfähigkeit, keine Splitterbildung und ausreichende Wirkung beim Beschuss von Hartzielen und Fahrzeugreifen." Funktions-, Schützensicherheit und Treffgenauigkeit gehören ebenso dazu wie die Forderung, sich selbst bei extremen Temperaturen und nach Feuchtigkeitseinwirkung störungsfrei aus Pistolen und Maschinenpistolen verschießen zu lassen.

Eine Übersicht der aktuellen Technischen Richtlinie gibt es auf der Internetseite des PTI, erreichbar über die Deutsche Hochschule der Polizei: www.dhpol.de