Als Schießausbilder und langjähriger Schütze konnte ich in meinem Leben schon viele verschiedene Waffen, unterschiedliche Kaliber und auch außergewöhnliche Systeme ausprobieren. Allerdings muss ich zugeben, dass es dabei oft über den berühmten ersten Eindruck nicht hinausreicht. Meist kommt jemand mit einem interessanten Kaliber oder einer besonderen Waffe zum Seminar oder man trifft sich zufällig beim Training. Nach etwas Plausch über die Waffe kommt oft die berühmte Frage: „Darf ich mal ein Magazin schießen?“. Nachdem das Magazin leer ist, endet der „Test“ mit einem zustimmenden Nicken oder einem etwas konsternierten Kopfschütteln. Valide Aussagen über Vor- und Nacheile, belastbare Zahlen oder Eindrücke, die zu konkreten Vergleichen führen können, lassen sich jedoch aus solchen Gelegenheitseinblicken kaum ableiten.
Genauer hingeschaut: 9 mm Luger, 10 mm Auto und .45 ACP aus der SIG Sauer P320 im Vergleich
Dies sollte sich mit diesem Artikel in Hinblick auf die Kaliberfrage ändern. Die für diesen Artikel vorliegenden Kaliber - 9 mm Luger, 10 mm Auto und .45 ACP - sind aus ähnlichen Waffen einer Baureihe geschossen und durch meine dazu festgehaltenen Eindrücke im direkten Vergleich beschrieben worden. Der Schwerpunkt liegt dabei im praktisch-dynamischen Umfeld: Also schnelle Schussfolgen und die dazu nötige Rückstoßkontrolle. Die Testwaffen stammen aus der P320 SIG Sauer-Modellreihe. Zwar existieren Unterschiede wie Lauflänge und Abzug, aber die Pistolen ähneln sich so, dass sich Vergleiche der Schießleistungen zu den unterschiedlichen Laborierungen herausarbeiten lassen. Um die Kaliber-Unterschiede besser einordnen zu können, ist etwas Vorwissen zur Geschichte und einigen Fakten nötig. Die 9 mm Luger wurde im frühen 20. Jahrhundert von Georg Luger entwickelt, es ist das wohl am meisten verwendete Pistolenkaliber für fast alle heute gängigen Verteidigungs-Kurzwaffen. Mit Gewichten von etwa 115 bis 147 Grains erreichen die Geschosse Mündungsgeschwindigkeiten von rund 300 bis 450 Meter pro Sekunde, mit einer Energie von etwa 400 bis 600 Joule. Die Geschosstypen bieten eine umfassende Palette, von sportlich eingesetzten verkupferten Blei- oder Vollmantel- bis zu speziellen Hohlspitzgeschossen zur Verteidigung. Der weltweite Erfolg der 9 mm Luger basiert auf der exzellenten Schnittmenge aus Kontrollierbarkeit, Präzision und Energieausbeute, aber auch den relativ geringen Kosten.
Die etwa gleich alte .45 ACP wurde im Frankford Arsenal und bei Colt um 1904 entwickelt. Die Entwicklung ging auf die sehr negativen Erfahrungen im philippinisch-amerikanischen Krieg zurück. Bei Angriffen durch Philippinos mit Macheten und Stöcken auf US-Truppen wurde die schlechte unmittelbare Stoppwirkung der damals verwendeten 38er Geschosse bemängelt. Deshalb folgte die Entwicklung eines Kalibers mit größerem Geschossquerschnitt. Die .45 ACP besitzt einen Geschossdurchmesser von rund 11,5 mm, die Gewichte liegen bei 165 bis 230 Grains. Die Mündungsgeschwindigkeiten liegen zwischen 250 bis 400 Meter pro Sekunde, die Energiewerte reichen von rund 450 bis 650 Joule, wie immer lauflängenabhängig.
Die 10 mm Auto wurde im Jahr 1983 vom Kurzwaffen-Experten Colonel Jeff Cooper entwickelt. Nach einem viel beachteten, desaströsen Schusswechsel einiger mit 9 mm Luger-Pistolen ausgerüsteter FBI-Agenten gegen schwer bewaffnete Täter im Jahr 1986 führte das FBI im Folgejahr 1987 die 10 mm Auto ein. Nach Schwierigkeiten mit dem starken Rückstoß und den für manche zu großen Griffstücken wurde das Kaliber aber bald wieder ausgewechselt. Die Geschossgewichte liegen zwischen etwa 155 bis 220 Grains, die Geschosse erreichen Mündungsgeschwindigkeiten zwischen 320 bis 450 Meter pro Sekunde. Die Energieausbeute liegt in Bereichen von 550 bis 1.000 Joule. Die 10 mm Auto ist das leistungsstärkste Test-Kaliber.
SIG Sauer USA P320 Compact – technische Daten und Preis
Modell: | SIG Sauer USA P320 Compact |
Preis: | 939,- Euro* |
Kaliber: | 9 mm Luger, .45 ACP |
Kapazität: | 15 in 9 mm Luger, 9 in .45 ACP ( jew. + 1 Patrone) |
L x B x H: | 183 x 33 x 135* mm |
Lauflänge: | 99 mm |
Dralllänge (9 mm/ .45): | 1: 250 mm / 1:400 mm |
Abzugsgewicht: | ca. 3.400 g |
Gewicht: | 740 g |
Ausführung: | rechts-/linkstauglich (Nach dem Umstecken des Magazinauslösers.) |
Ausstattung: * = Ohne Rotpunktvisier, Optic Ready, Kimme + Korn im Schwalbenschwanz, mit weißen Lackpunkten. M1913 Picatinny-Schiene, Ersatzmagazin, Kunststoffkoffer |
Die Testmuntion von Hornady:
Bei unserem Test kamen ausschließlich Hornady-Laborierungen zur Anwendung, die für Fangschuss, Selbstverteidigung oder den behördlichen Kontext gefertigt werden. Die 9 mm Luger ist mit dem 124 Grains wiegenden Hornady XTP Geschoss versehen. Die .45 ACP stammt aus der Critical Duty Linie, laboriert mit einem 220 Grains FlexLock-Geschoss. Die 10 mm Auto besitzt ein 155 Grains XTP Geschoss. Den Werksangaben nach leistet die 9 mm Luger rund 460 Joule. Die .45 ACP käme als eine +P-Ladung auf rund 630 Joule. Die 10 mm Auto, das Flaggschiff, soll bei 430 Meter pro Sekunde eine Energie von knapp 930 Joule freisetzen – das ist Magnum-Niveau!
Einst und jetzt: Colt Gold Cup zur SIG P320
Die erste eigene Großkaliberpistole war eine Colt Gold Cup, Serie 70 im Kaliber .45 ACP, im Jahr 1999 erworben und im Bereich des klassischen Scheibenschießens auf 25 Meter verwendet. Damals kam eine extrem schwach wiedergeladene Scheibenlaborierung zum Einsatz. Nach kurzer Zeit habe ich die Waffe allerdings wieder verkauft, weil mir die Munition zu teuer wurde. Eine Pistole im Kaliber 10 mm Auto habe ich selbst nie besessen. Hier basierte meine ganze Erfahrung tatsächlich auf „Testmagazinen“ von Schützenkollegen, und dem in drei Worten fassbaren Eindruck: „Geil, aber teuer“. Die 9 mm Luger dagegen ist über die Jahre beim Sportschießen, der jagdlichen Anwendung, dem praktisch-dynamischen Schießen und meinen Schießseminaren zur „Haus-und-Hof-Patrone“ geworden. Die hervorragende Kontrolle über die Waffe im Schuss, die reiche Auswahl an Laborierungen, das ausreichende Leistungsniveau und der relativ günstige Preis gaben den Ausschlag. Seitdem habe ich etliche zehntausend Schuss gezündet und die Entscheidung für dieses Kaliber nie bereut. Insofern war ich sehr gespannt, wie das Testschießen meine persönliche Erfahrung und Wahl neu sortieren würde. Mit der 9 mm Luger wurde gestartet. Und ich konnte mich somit an die neue Waffe gewöhnen. Nach dem ersten Päckchen Munition hatte ich ein gutes Gefühl für den Abzug, den Griff und das Rückstoßverhalten. Neugierig auf die beiden anderen Kaliber, wollte ich es gleich wissen und griff zur 10 mm Auto. In Gedanken schon beim stärkeren Rückstoß passierte mir genau das, was ich bei Teilnehmern in unseren Kursen so oft verbessere: Die Antizipation des Rückstoßes gepaart mit schlechtem Timing! Der erste Schuss saß schon etwas zu tief. Da ich den Abzug der SIG-Pistolen doch noch nicht so gut kannte und auch etwas Respekt vor der 10 mm Auto vorhanden war, hatte ich beim Abziehen den ersten Schuss in Erwartung des Rückstoßes nach unten gedrückt. Kurz den Kopf über mich selbst geschüttelt und wieder auf die Grundlagen guten Schießens besonnen, lagen die nächsten Schüsse alle im Ziel. Der Rückstoß und das Verhalten der Waffe waren eine größere Herausforderung. Die Leistung der 10 mm Auto fordert hier ihren Tribut, da die Waffe erheblich mehr als mit der 9 mm Luger „springt“. Der Schütze muss maximale Konzentration zeigen, wenn er die Pistole nach dem Schuss schnell wieder ins Ziel bringen möchte. Nach der ersten Fühlung mit der 10 mm Auto ging es an die .45 ACP. Die dicken Patronen füllten schnell das einreihige Magazin. Bei den ersten Schüssen fühlte ich mich nach der Erfahrung mit der 10 mm Auto ziemlich wohl. Vom Rückstoß her spürt man die Masse in Verbindung mit langsamerer Geschwindigkeit. Die Waffe schob im Rückstoß etwas mehr als die eher giftig schlagende 10 mm Auto. Im Vergleich zur 9 mm Luger war der Rückstoß spürbar stärker. Für den eigentlichen Vergleichstest habe ich drei spezielle Übungen abgearbeitet:
- Fünf Schüsse auf ein gut DIN A4 großes Ziel aus sieben Metern in maximal schneller Schussfolge.
- Fünf Schüsse auf ein etwa Postkarten großes Ziel aus sieben Metern, es wird so schnell geschossen, wie es das Visierbild und die Rückstoßkontrolle zulassen.
- Fünf reine Präzisions-Schüsse auf verschiedene Entfernungen.
Die Übungen repräsentieren für mich das praktisch-dynamische Pistolenschießen, weil sie das Spannungsfeld dieser Disziplin darstellen. Zudem werden die nötigen Fähigkeiten abgefragt, um damit verbundene Probleme zu lösen. Kurz, das Spannungsfeld Zeit und Präzision! Schieße ich extrem schnell, treffe aber nichts, ist dies genau so wenig wert, wie sehr präzise Schüsse bei Überschreitung der mir zur Verfügung stehenden Zeit. Die erste Übung zeigt auf, wie hoch der Präzisionsverlust bei maximaler Geschwindigkeit ist. Die zweite Übung zeigt den Zeitverlust zwischen den Testkalibern bei gleicher Präzision. Die dritte Übung zeigt die zeitunabhängige Präzision aller Kaliber.
Die erste Übung mit der SIG Sauer P320: 7 Meter auf DIN A4 Ziel
Hier konnte die 9 mm Luger ihre Stärke ausspielen. Das angenehme Rückstoßverhalten, die vorhersehbaren Bewegungen der Waffe und das Vertrauen, dass die Waffe quasi, wie von selbst wieder in das Ziel kommt, ließen schnelle Schussfolgen gepaart mit relativ guter Präzision zu. Bei keinem Durchgang verließ ein Treffer den angepeilten Zielbereich, die Gruppen waren regelmäßig wesentlich kleiner. Auch die Zeiten pendelten sich zwischen 1,00 und 1,07 Sekunden für die fünf Schüsse ein. Der Streukreis der Treffer war sehr homogen. Man erkannte, dass das Kaliber es dem Schützen leicht macht. Der Wechsel auf die stärkeren Kaliber brachte etwas Ernüchterung. Die ersten Durchgänge zeigten oft Ausreißer außerhalb des Zielbereichs. Man musste sich hundertprozentig konzentrieren und jede Schwäche im Griff, jedes Antizipieren oder Nachgreifen mit der Schusshand wurde konsequent durch schlechte Treffer bestraft. Am Trefferbild war dann schön abzulesen, wie ich versucht habe, die Waffe wieder in den Zielbereich zu pushen. Die Tiefschüsse sind ein gutes Indiz dafür, dass sich die Waffe nicht vorhersehbar verhielt. In Bezug auf die Zeiten fiel auf, dass die Durchgänge minimal langsamer waren als mit der 9 mm Luger. Trotz des Versuchs, maximal schnell zu schießen, haftete die Erinnerung an den starken Rückstoß und die fehlende Kontrolle im Hinterkopf. Und die durchschnittlichen Zeiten zwischen 1,05 und 1,13 Sekunden waren etwas langsamer als bei der 9 mm Luger. Der Unterschied zwischen der 10 mm Auto und der P 320 in .45 ACP war hingegen kaum spürbar. Dies kann auch an dem im Vergleich etwas längeren Lauf der 10-mm-Pistole liegen.
SIG Sauer P320 in 9 mm, .45 und 10 mm: Zweite und dritte Übung
Diese zeigt den Zeitverlust bei gleichbleibender Präzision auf, also wie lange der stärkere Rückstoß und die geringere Kontrolle über die Waffe die Zeiten für ein gleichbleibendes Trefferbild verlängert. Dafür wurde ein Ziel in Postkartengröße gewählt, welches vom Schützen beim Aufbau eines akzeptablen Visierbildes ein halbwegs sauberes Kimme-Korn-Verhältnis fordert. Anders als im ersten Test wurde hier nicht „einfach geschossen“, sondern der nächste Schuss konnte erst nach Bestätigung des Visierbildes abgegeben werden. Auch hier spielte die 9 mm Luger ihre Stärken aus. Durch die gute Kontrolle und vor allem der Vorhersehbarkeit der Waffen-Bewegungen im Schuss konnte das Visierbild fast vorausschauend bestätig werden. Die Zeiten für fünf Schüsse pendelten sich etwas unter 1,20 Sekunden ein. Bei der 10 mm Auto und der .45 ACP benötigte ich deutlich mehr Zeit, um das Visierbild zu bestätigen. Die vorausschauende Bestätigung des Visierbildes war nicht immer verlässlich, da sich die Waffe nicht immer gleich im Rückstoß verhielt. Der Unterschied zwischen der 10 mm Auto und der .45 ACP war wiederum gering. Die Zeiten pendelten sich bei rund 1,60 Sekunden ein. Beim abschließenden Präzisionstest ohne Zeitnot ergaben sich keine Unterschiede zwischen den Kalibern. Geschossen wurden wieder Fünfschuss-Gruppen auf 10 und 15 Meter freihändig und auf 20 Meter aufgelegt. Alle Kaliber zeigten eine für das praktisch-dynamische Schießen ausreichende und gute Präzision. Nur der mentale Aspekt der etwas stärkeren Konzentration war bei den beiden größeren Kalibern wieder spürbar.
Fazit zum Vergleich der Kaliber 9 mm, 10 mm und .45 ACP
Die Faszination für große Kaliber ist bei mir nach dem Test deutlich abgeflaut. Der Grund: Der starke Rückstoß und das Springen der Mündung! Es macht mal Spaß, diese Energie zu spüren. Aber die Munitionspreise für 10 mm Auto und .45 ACP erschweren ein effektives Training. Und neben dem finanziellen ist auch der immaterielle Preis es mir nicht wert, denn der Zeit- und Präzisionsverlust ist erheblich. Gerade beim praktisch-dynamischen Schießen ist die Abgabe mehrerer schnell folgender Schüsse eine Kernfähigkeit. Sich in einer Bedrohungssituation, vom behördlichen Kontext bis zur annehmenden Bache, selbst abzubremsen und „etwas langsamer“ zu schießen, um wieder zu treffen, ist kaum umzusetzen. Hier machen einem die 10 mm Auto und die .45 ACP das Leben schwer. Der alte Spruch „Das beste Kaliber ist ein guter Treffersitz“ hat seine Berechtigung. Nicht umsonst hat sich die 9 mm Luger insbesondere im behördlich-militärischen Bereich so extrem durchgesetzt. Die beiden anderen Kaliber sind dort von Nutzen, wo der Einzelschuss oder langsame Schussfolgen mit sehr viel Energiereserven nötig sind. Dies aber dürfte in Verteidigungssituationen eher selten der Fall sein.
Dieser Artikel erschien auch in der VISIER, Ausgabe 11/2024. Das Heft können Sie im VS Medien-Onlineshop kaufen. Dort steht es auch als ePaper zur Verfügung.
Mehr zu den Pistolen von SIG Sauer erfahren Sie beim Importeur, German Sport Guns. Wer weitere Informationen zur Testmunition von Hornady möchte, wird beim Importeur, der Helmut Hofmann GmbH fündig.