Calico M 100 im Test: 100-schüssiger Science-Fiction-Selbstladekarabiner in .22 l.r.

Calico M 100 von links.
Der Durchladehebel sitzt links am Verschluss. Da ein beidseitiger Sicherungshebelund eine doppelseitige Magazinhalterungexistiert, kann die Calico als Links- wie Rechtshandwaffe gelten.

Wenn Waffen Poren hätten, käme es bei der Calico aus jeder heraus: Das Fluidum des Fortschrittglaubens, der bis heute zum American Way of Life gehört wie Rock and Roll zum Petticoat. Und immer wieder fanden und finden sich in den USA nonkonforme Erfinder, die relativ unnütze Accessoires an relativ nützliche Sachen bauen, und damit Erfolg verbuchen. Früher waren es Heckflossen an Autos, heute dagegen sind es eher Glitzersteinchen an bestimmten Stellen von ziemlich teuren Damenhosen – einfach schön. Doch wesentlich seltener sind die bislang unvorstellbaren technischen Neuerungen, die in einem eher ungewöhnlichen Design verpackt werden. Wenn dies einmal geschieht, und vor allem auch noch einwandfrei funktioniert, kann so etwas entstehen wie die Calico M 100. Und dann geht es ganz schnell, dass sich derart gestaltete Waffen wie Calicos in einigen bekannten Science Fiction-Filmen wie Spaceballs, Star Trek, Robocop oder Total Recall finden – von mehreren Dutzend anderer Actionfilme ganz abgesehen. Dabei ist eine Calico beileibe keine funktionelle Designstudie. Neben dem futuristischen Aussehen hatte die California Instrument Company (Calico) um das Jahr 1982 einige tatsächlich bahnbrechende Entwicklungen umgesetzt, vor allem das 100-schüssige Schneckenmagazin. In den USA wird die scharfe KK-Waffe bis heute verkauft.

100 Schuss im Schneckenmagazin der Calico M 100. Wie geht das?

Magazinbefestigung des Schneckenmagazins der Calico M 100.
Da wackelt an der Calico M 100 nix mehr: Das Magazin wird von zwei starren Zapfen, einer vorne, nicht im Bild, geführt und von den beiden beweglichen Zapfen in den Klammern gehalten.

Magazine mit hoher Kapazität waren schon um 1980 ein alter Hut. Aber hochkapazitive Stangen- oder Trommelmagazine haben auch ihre Nachteile: Sehr lange Stangenmagazine sind für den Liegendanschlag unbrauchbar, da sich die Schützen stark exponieren müssen. Trommeln verbreitern stattdessen die Waffe extrem. Calicos neues Schneckenmagazin erlaubte hingegen eine enorme Magazinkapazität bei sehr schlanker und flacher Bauweise. Calico setzte nicht zu Unrecht damit von Anfang an auf den Behörden- und Militärmarkt. Immerhin funktionierten die aufwendig gefertigten Schnecken- oder Helixmagazine einwandfrei. Doch wie so oft: Die Kosten machten einen Strich durch die Rechnung. Behördliche Beschaffer fanden das Magazin zwar interessant, aber in Summe viel zu teuer. Und unter dem sogenannten Federal Assault Weapons Ban ließ sich in den USA ab 1994 ein billiges, zehnschüssiges Stangenmagazin noch verkaufen, ein teures und zudem auf eine Kapazität von zehn Patronen kastriertes Helix-Magazin aber nicht. Die Helix-Magazine bilden den zentralen Bestandteil dieser in den USA eher für Freizeitzwecke genutzten KK-Waffen, ganz im Gegensatz zu preisgünstigen Stangenmagazinen. Auch heute schlägt ein neues Helix-Magazin .22 l. r. mit rund 125 Dollar zu Buche - dafür kann man in den USA bereits ein billiges Plinking- Gewehr erstehen und ein gebrauchtes 10-22 von Ruger gibt es schon für etwa 250 Dollar. So hatten die Calicos ab 1994 keine Chancen mehr auf dem Markt.

Korn des Calico M 100.
Liebesgrüße aus Moskau... Das Korn der Calico M 100 ist nach AK-Manier höhenverstellbar. Der Verstelltrieb ist sogar kraftschlüssig gesichert. Auch die Kimme ist seitlich über einen exakt definierten Drehtrieb verstellbar.

Innovationen von heute: Bei der Calico M 100 gab's das schon seit Mitte der 1980er Jahre

Die heute so gern und laut besungene Linkshandtauglichkeit – bei Calico war diese ab 1985 längst verwirklicht. Die Magazinauslöser gibt es wie die Sicherungsflügel beidseitig, der Verschlussfang sitzt mittig vorn im Abzugsbügel, und die Durchlade-Handhabe auf der linken Verschlussseite stört Rechtshänder nicht im mindesten. Dass sogar die Seitenverstellung der Kimme beidseitig bedienbar sein kann, hat bis heute kaum ein Hersteller umgesetzt. Neben den ganzen Innovationen setzte Calico aber auch auf eine hohe Materialqualität. Selbst die Läufe der Kleinkaliber-Varianten wurden aus Chrom-Molybdänstahl gefertigt, und die Aluminium-Legierung A 356 .0 (heute 7Si-0.3Mg) wird sowohl in der petrochemischen Industrie, in Atomanlagen, im Flugzeugbau, für Kraftstoffpumpen oder Kupplungen genutzt. Neben der grundlegenden Qualität der Werkstoffe stimmt aber auch die Verarbeitungsqualität im Detail. Zum Beispiel das höhenverstellbare Korn: Ein winziger Druckstift sorgt für eine definierte und vor allem sichere Rast der eingestellten Höhe. Auch das Kimmenblatt verstellt man über einen Klick-Mechanismus. Alte wie aktuelle Fertigungen der Calico zeichnen sich durch eine große Modellvielfalt in vielerlei Farben aus. Innerhalb der Neufertigungen finden sich auch solche für durchaus exotisches Farbempfinden, wie "Black and Plumb Crazy Purple".

Die all4shooters-Testwaffe Calico M 100 im Detail:

Nicht nur wegen der damals wie heute recht breit aufgestellten Produktpalette von Pistolen, Pistolenkarabinern und Gewehren repräsentiert die Testwaffe eine recht seltene Variante der alten Calico M 100-Serie, namentlich das Modell 105. Dieses all4shooters.com-Muster stammt noch aus der Anfangszeit der ersten Fertigungsepoche. Die Ziffer 105 kennzeichnet die ausschließlich im Jahr 1986 gefertigten Karabiner mit Nußbaumschäftung. Dadurch wirkt das Gewehr im Vergleich zu den skelettgeschäfteten oder AR-15-gestylten Varianten recht rustikal. Sehr wahrscheinlich schien den damaligen Space Cowboy-Käufern der relativ teure Holzschaft an dieser Variante zu wenig futuristisch. Trotz der überraschend hohen Verarbeitungsqualität fanden die Tester Kritikpunkt: Wegen des etwas hoch bauenden Schneckenmagazins ist die Ergonomie beim Anpacken gewöhnungsbedürftig. Die sehr kurze Visierlinie kommt durch das langgestreckte Schneckenmagazin zustande, auf welches die Entwickler wohl keine Kimme setzen mochten. Dafür bietet aber die Rechteckkimme mit dem an sich simplen Staubkorn ein sehr gutes, klares Visierbild.

Die Calico-Selbstladebüchse auf dem Schießstand:

Magazin des Calico M 100 im Detail.
So sieht die Aufnahme für bis zu 100 Patronen aus. Da eine Handhabe zur Absenkung des Zubringers fehlt, ist die vollständige Füllung des Calico M 100-Magazins eine fummelige Sache von fast zehn Minuten.

Dort wurde die Antwort auf die Fragen erwartet, wie sich denn 100 Patronen in die Schnecke drücken lassen – und wie lange das dauert. Die ersten 30 Patronen bewirken kaum eine Veränderung der Federspannung. Erst ab der zweiten Patronenschachtel stellt sich ein höherer Widerstand ein, der sich im Verhältnis aber nicht wesentlich steigert. Erst das letzte Dutzend benötigt mehr Kraft. Aber gefühlt ist es nicht viel mehr, als die letzte Patrone in einem zehnschüssigen Stangenmagazin fordert. Beim Calico-Magazin müssen die Patronen über eine definierte, schräg verlaufende Ausfräsung genau auf den Zubringer gedrückt werden. Verkantungen zur Höhe oder Seite quittiert das Magazin mit Klemmern – nichts für Hektiker. Einige Blätter Küchenpapier, um nach 20 bis 25 Patronen das Geschossfett von den Fingern zu bekommen, sind durchaus hilfreich. Während der längeren Manipulation beim Laden ging manchen Testern ein Spruch durch den Kopf: "load on Sunday and shoot all week long", diese Redensart bezog sich auf die 15-schüssigen Henry-Rifles Modell 1862. Diese dürften in der von Vorderladern dominierten Ära des US-Bürgerkriegs einen ähnlich starken Eindruck hinterlassen haben wie rund 125 Jahre später die Calico: Eine Waffe wie von einem anderen Stern. Die 44er Henry-Patronen waren ebenfalls Randzünder, sie repräsentieren ein heute bald 180 Jahre altes, immer noch funktionales Konzept.

Sicht ins Auswurffenster der Calico M 100.
Die lässt etwas den Kopf hängen. Was bei einem oberhalb des Verschlusses angebrachten Magazin (wie bei der Calico) nicht anders geht.

Amerikanische Kleinkaliber-Selbstladebüchsen für das Plinking funktionieren mit europäischer Match-Munition nicht immer störungsfrei. Um das genauer zu überprüfen, kamen zunächst nur jeweils zehn Patronen RWS Rifle Match und Lapua-Biathlon in die Schnecke der Calico M 100. Jedoch alles kein Problem: Nicht nur, dass beide Sorten einwandfrei funktionierten, auch die Streukreise waren weit kleiner als erwartet. Um sicher zu gehen, stopften wir nun jeweils 50 Match-Patronen ins Magazin, und verschossen diese ebenfalls störungsfrei. Es gab auch im weiteren Testverlauf keinen einzigen Hemmer.

Technische Daten und aktueller Preis der Calico M 100 in .22 l.r.

Modell:Calico M 100 / M 105
Preis:Neu ab ca. 700,- US-Dollar
Kaliber:.22 l.r.
Kapazität:100 Patronen
L x B x H:900 x 55 x 175mm
Lauflänge:400mm
Dralllänge:1:16“ (400 mm)
Abzugsgewicht:circa 2.200 g
Gewicht:circa 2.700 g
Links-/Rechts-Ausführung:Beidhändig taugliche Ausführung
Ausstattung:Nußbaumschaft, höhenverstellbares Korn, seitenverstellbare Kimme, beidseitiger Sicherungsflügel

Unser Fazit zur Calico M 100:

Der futuristisch-verspielte Eindruck täuscht, Calico fertigte hochwertige KK-Gewehre mit einem bis heute kaum bekannten Magazin. Lange bevor auf beidseitige Bedienbarkeit Wert gelegt wurde, setzte Calico auf dieses Konzept. Die Fertigungsqualität lag deutlich über derjenigen von Plinking-Waffen. Das rechtfertigte neben dem aufwendigen Magazin die mit 600,- bis 1.000,- US-Dollar recht hohen Neupreise für diese spezielle KK-Waffe. 

Auch wenn die neuen - in den USA immer noch verkauften - M 100 des US-Herstellers Calico in Deutschland nicht verfügbar sind, wollten wir Ihnen diesen historischen Klassiker nicht vorenthalten.


Dieser Artikel steht auch in der VISIER, Ausgabe 02/2022. Dort finden Sie neben den Schießergebnissen in der übersichtlichen Tabelle (fünf Laborierungen) auch weitere Hintergrundinformationen zum Hersteller Calico. Das Heft ist neben der gedruckten Ausgabe auch als e-Paper im VS Medien-Onlineshop verfügbar.

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