Forderungen nach Verschärfung des Waffengesetzes in Deutschland im März 2023 – Fragen und Antworten

Waffenrechtliche Erlaubnisse und Pistole mit Magazin.
Beantragung von waffenrechtlichen Erlaubnissen: Die MPU für alle ist nur eine der aktuellen Forderungen.

Nur zwei Tage nach dem schrecklichen Attentat auf die Teilnehmer eines Gottesdienstes einer Zeugen Jehovas-Gemeinde wurden aus verschiedenen Richtungen die ersten Rufe nach einer Verschärfung des Waffenrechts in Deutschland laut. Darunter sind wieder die bekannten Forderungen nach dem Verbot von halbautomatischen Waffen und eine verpflichtende Medizinisch-Psychlogische Untersuchung (MPU) für alle Waffenbesitzer.

Nun hat die Waffenrechtsexpertin Katja Triebel auf ihrem persönlichen Blog einen acht Punkte umfassenden Frage-Antwort-Artikel veröffentlicht. Der gibt nicht nur in kompakter Weise Antworten auf die wichtigsten Fragen zu Reichweite und Regelungsmöglichkeiten im Waffengesetz, er entkräftet auch viele der Argumente im Zusammenhang mit den nun erhobenen Forderungen. Mit freundlicher Genehmigung von Katja Triebel zitiert all4shooters.com die acht Fragen und Antworten:


1. Können Waffenverbote und Waffenkontrollen Gewalt verhindern?

Seit 2009 beschäftigt mich diese Frage. Wissenschaftler aus dem In- und Ausland belegen, dass Waffenverbote keinen positiven Effekt auf die Gewaltkriminalität haben. Gesetzestreue Bürger werden durch den Besitz von Waffen nicht zur Gewalt verführt. Rechtsbrecher kümmern sich nicht um Verbote; sie besorgen sich ihr Tatmittel illegal oder ersetzen es, z.B. durch Messer, Brenn- oder Explosivstoffen.

In wenigen Fällen – wie in Norwegen und vermutlich auch in Hamburg – nehmen die Attentäter den langen Weg auf sich, das Tatmittel legal zu erwerben. Der Norweger wurde Landwirt, sammelte sieben Jahre lang Explosivstoffe aus Düngemitteln und benutzte einen Jagdschein zum Waffenerwerb. Der Hamburger wurde vor 1,5 Jahren aus seiner Gemeinde verbannt. Da der Weg zur eigenen Waffe für Sportschützen ca. 12-15 Monate dauert, muss er zum Zeitpunkt des Streits mit der Ausbildung begonnen haben, um im Dezember 2022 seine erste Waffe erwerben zu können.

2. Können Waffenverbote Amokläufe verhindern?

Der Zugang zu Waffen ist nur eine von vielen Komponenten, jedoch nicht der Auslöser, da das Tatmittel – wie auch bei Beziehungstaten – zweitrangig ist. Die hohe Präferenz von Schusswaffen hat nichts mit deren Letalität zu tun. Massentötungen mit Brand- und Explosivstoffen wären wesentlich "effektiver", was die Opferzahl angeht, insbesondere, wenn die Tat in geschlossenen Räumen, wie Klassenräumen, Flugzeugen oder Kinos ausgeübt wird.

Der Einsatz von Schusswaffen ermöglicht eine vorab geplante Inszenierung inklusive Opferauswahl und garantiert hohe Medienpräsenz. Bei Explosionen und Bränden würden zwar mehr Menschen sterben, aber der Medienrummel wäre kleiner. Präventionsforscher empfehlen Presseberichtsverbote, um die Ikonosierung des Täters zu verhindern.

3. Können Waffenkontrollen Gewalttaten verhindern?

Es deutet vieles darauf hin, dass Waffenbesitz nicht zu Gewalt führt, jedoch Gewalttäter sich zu Waffen hingezogen fühlen.

Die polizeiliche Kriminalstatistik zeigt, dass 40% der Gewalttäter bereits eine kriminelle Historie aufweisen und ein großer Anteil der Gewaltverbrechen unter Alkoholeinfluss begangen wird. Kontrollen, die den Zugang zu Waffen von Gewalttätern und Alkoholabhängigen verhindern, können daher sehr sinnvoll sein.

In Deutschland werden Schusswaffen in 0,2% aller Straftaten eingesetzt. Bei Gewaltdelikten liegt ihr Anteil bei ca. 3%. Davon stammen über 95% aus unkontrolliertem Besitz (frei verkäufliche Waffen, auch Spielzeugwaffen, wie auch illegale). Der Anteil der bei Gewaltverbrechen eingesetzten Schusswaffen, deren Besitz vom Staat kontrolliert wird, liegt im Promillebereich.

Laut einer Studie von Prof. Heubrock und anderen europäischen Studien werden legal besessene Schusswaffen fast ausschließlich in Beziehungstaten – auch Amokläufe zählen hierzu – missbraucht. Hier stehen Täter und Opfer fest, nur das Tatmittel ist beliebig. Wäre keine legale Schusswaffe vorhanden, würde das Tatmittel ersetzt werden.

4. Hätten Faesers Pläne die Morde in Hamburg verhindern können?

SPD, Grüne, die Gewerkschaft der Polizei GdP und das Redaktions-Netzwerk Deutschland RND (beide SPD-nah) fordern erneut Waffengesetzverschärfungen und behaupten, diese hätten das Attentat verhindern können. Die Forderungen sind nicht neu, wie man an den 10 Jahre alten Memes erkennen kann. Neu ist nur, dass aktuell GdP und SPD die Forderungen der Grünen sogar übertrumpfen und das RND beim Verbreiten "hilft". Die Forderungen im Einzelnen:

Verbot eines Waffentyps: Faeser, GdP und Grüne möchten halbautomatische Langwaffen verbieten, die wie Kriegswaffen aussehen. Der Attentäter in Hamburg benutzte eine Kurzwaffe, die nicht in diese Kategorie passt.

Die rot-grüne Koalition hatte unter dem damaligen Innenminister Otto Schily genau solch ein Verbot im Jahr 2002 aufgehoben, weil es mehr Arbeit machte als die Sicherheit zu erhöhen. 2012 gab es eine längere Waffenrechtsdebatte, angestoßen von den Grünen, Halbautomaten zu verbieten. Damals wurde dies von allen Parteien außer den Grünen und Linken abgelehnt. Das Halbautomatenverbot für Jäger wurde 2017 gefordert und abgelehnt. Das Bundeskriminalamt (BKA) bestimmt seit Jahren, ob eine halbautomatisch Langwaffe für das sportliche Schießen zugelassen wird oder nicht. Einzelfälle mit diesen Waffentypen gibt es weder in Deutschland, noch in Europa, weswegen eine solche Forderung 2016/17 auch in Brüssel scheiterte.

Zentrallagerung: Die GdP (von heute) und die Grünen fordern Zentralaufbewahrung von Schusswaffen. Die GdP vor 11 Jahren, die DPolG und viele andere sehen das anders.

Abfrage beim Gesundheitsamt: Gesundheitsämter sind keine Zentralen für Patientenakten. Die Auskunft, ob jemand psychisch geeignet für den Waffenbesitz ist, erhält man nicht vom Gesundheitsamt. Diese Forderung vom Vorgänger Seehofer (CDU) wurde 2020 debattiert und nicht weiter verfolgt, da die Argumente der „Waffenlobby“ stichhaltig waren: viele Kosten, wenig Nutzen. Zudem sind Gesundheitsämter kaum digitalisiert, bereits jetzt überlastet und besitzen Daten, die dem Datenschutz unterliegen.

Weniger private Waffen: SPD, Grüne und GdP fordern den Entzug von Eigentum, wie auch höhere Auflagen für Neuerwerb in der irrigen Annahme, dadurch Gewalttaten zu verhindern. Die GdP vor 11 Jahren und viele andere sehen das anders.

Ärztliches Attest: Seit Erfurt müssen unter 25-Jährige eine MPU vorweisen, wenn sie großkalibrige Kurzwaffen erwerben wollen. Faeser, GdP u.a. fordern dieses Attest für jede erstmalige waffenrechtliche Erlaubnis, auch für Schreckschusswaffen und Armbrüste. Aktuell gibt es zu wenig psychologisch geschultes Personal, um die Traumata der Lockdowns zu behandeln. Es ist daher zweifelhaft, ob überhaupt Personal vorhanden ist, um 50.000 (alle Ersterwerbungen) oder 400.000 (auch für den Besitz von Schreckschusswaffen und Armbrüsten) zu untersuchen. Man sollte sich auch in anderen Ländern, wie z.B. Österreich – erkundigen, ob diese Atteste dort die Sicherheit erhöht haben.

5. Welchen Einfluss haben Medien und Öffentlichkeit?

40% der Amokläufe finden innerhalb von zehn Tagen nach aufwändiger Medienberichterstattung statt (Nachahmungstat bzw. "Werther-Effekt"). Die Täter wollen Helden sein, sie wollen in die Medien, als Herrscher über Tod oder Leben wirken, etwas darstellen und Aufmerksamkeit bekommen.

Aktuell kann man die Medien (außer BILD) dafür loben, dass wir bisher nicht den vollständigen Namen, keine Fotos und auch keine Nachbildung mit Grundriss und Zeitplan – wie in Winnenden – gesehen haben. Je stärker die Öffentlichkeit die Attentäter als Loser beurteilt, desto weniger Nachahmer werden sich finden.

Leider haben sich in den letzten Jahren Chatgruppen gebildet, bei denen sich die Teilnehmer als Incels (involuntary celibates, ungewollt zolibatär) wahrnehmen und dort ihren Hass auf Frauen, Heterosexuelle u.a. fördern. Auch die Äußerungen der Attentäter in Norwegen, Christchurch, Hanau und Hamburg folgen dieser (wahnhafte) Ideologie.

6. Waffengesetzreform per instrumentalisiertem Einzelfall

Laut Tagesschau war dies die schlimmsten Amoktat seit München (illegale Waffe) und dem Berliner Breitscheidplatz (LKW). Die ersten Reaktionen der Bürger (Leserkommentare) prangerten noch den Hass des Attentäters und die unmenschlichen Praxis der Zeugen Jehovas an, die den Kontakt mit Ex-Mitgliedern verbieten.

Während bei fast jeder Messerattacke davor gewarnt wird, einen Einzelfall nicht zu instrumentalisieren, werden Einzelfälle mit legalen Schusswaffen seit Jahrzehnten hierzulande und auch weltweit instrumentalisiert.

So entstand das erste bundesweite Waffengesetz vor 51 Jahren nach dem Polizistenmord in Oberhausen auf Druck der Presse. Es war so schlecht gemacht, dass es vier Jahre später reformiert wurde. Die nächste Waffengesetzreform gab es 2003 nach dem Schulamoklauf in Erfurt, gefolgt vom Schulamoklauf in Winnenden 2009. 2016 wurde die Attentate im Pariser Nachtclub Bataclan und auf den Zeitschriftenverlag Charlie Hebdo zum Anlass genommen, neue Feuerwaffen-Richtlinien zu erstellen, die dann 2019/2020 bei uns schlecht umgesetzt wurden. Die zeitgleich durch die EU geförderte Studie, die drei Monate vor Abstimmung fertig war, wurde nicht publiziert, da sie alle neuen Verschärfungen als negativ für die öffentliche Sicherheit bescheinigte.

7. Was sagen die Polizeigewerkschaften zum Waffenrecht?

Forderungen der GdP

Nach der Amoktat eines Sportschützen mit vielen Toten und Verletzten unter Mitgliedern der Zeugen Jehovas hat der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jochen Kopelke, die Bundesregierung zur unverzüglichen Verschärfung des Waffenrechts und einer deutlichen Reduzierung von Waffen aufgefordert. Die schnelle Gesetzesänderung aufgrund der sich "gefühlt mehrenden Vorfälle" sei wichtiger als die von der FDP geforderte vorherige systematische Überprüfung der Anpassung, sagte Kopelke am Samstag dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). RedaktionsNetzwerk vom 11. März 2023

Forderungen der DPolG

DPolG Bundesvorsitzender Rainer Wendt: "Der Amoklauf verdeutlicht, hundertprozentige Sicherheit kann es nicht geben, aber es hat sich gezeigt, dass die Kräfte professionell und entschlossen zur Stelle sind, wenn es darum geht, Menschen zu schützen…. In dem Zusammenhang fordern wir als Deutsche Polizeigewerkschaft, einen kompletten Tag im Monat ausschließlich dem Training zur Bewältigung lebensbedrohlicher Lagen für Einsatzkräfte der Polizei vorzusehen. Bislang passiert dies nicht öfter als einmal im Jahr." DPolG Homepage vom 10. März 2023

8. Fazit

Nichts ist falscher als diese Forderung von der GdP, die via RND-Interview in den Medien veröffentlicht wird. Gesetze sollten nie schnell nach dramatischen Einzelfällen beschlossen werden. Das Waffengesetz ist mittlerweile so unübersichtlich, dass selbst Juristen verzweifeln, wie auch Sachbearbeiter und Bürger. Selbst glühende Waffenkontroll-Befürworter, die wissenschaftlich als Kriminologen wie Peter Squires arbeiten, sehen schnelle Reaktionen bei Gesetzgebungen als falsch an.

Der Attentäter hat sich umgebracht als er auf Widerstand (Eintreffen der Polizei) stieß. Er hätte sicherlich auch aufgegeben, wenn einer der Anwesenden Widerstand hätte leisten dürfen. Dies zumindest zeigen die Active-Shooter-Incidents-Auswertungen des FBI. Fast alle Amoklagen sind nach drei Minuten beendet, häufig wegen Widerstand. Das von der DPolG geforderte vermehrte Training in besonderen Einsatzlagen, ist eine Forderung, die ich trotzdem unterstütze.

Aus dem gesamten Referentenentwurf von Faeser sehe ich leider nur eine Gemeinsamkeit: die Prüfung für den erstmaligen Erwerb einer scharfen Waffe sollte umfangreicher sein als die für die achte Waffe. Beim Wegfall des Bedürfnisses in der jetzigen Form – analog zu Österreich – könnte die Kontrollarbeit der Waffenbehörden auf die wirklich wichtigen Bereiche fokussiert werden. Daher ist die Evaluation so wichtig – im Hinblick auf Kosten und Nutzen für die Sicherheit.

Auch wäre der Einsatz von Cybercops bei Verdachtsfällen ein geeignetes Mittel zur Prävention. Viele der Attentäter hatten im Web ihre wahnhaften Weltanschauungen öffentlich preisgegeben. So auch der Attentäter von Hamburg auf seiner eigenen Webseite und dem bei Amazon veröffentlichten Buch. Zudem gibt es geschützte, aber bei Experten bekannte Chatgruppen, in denen zum Hass und Gewalt aufgefordert wird. Auch diese sollten von Cybercops – im internationalen Austausch – kontrolliert werden.

Und – abseits von Amoklagen – hin zu alltäglichen Rachezügen mit fatalem Ende. Die Bevölkerung wird immer älter und leider auch immer dementer. Einige alte Menschen sind mental nicht mehr voll geschäftsfähig. In solchen Fällen wäre eine vorzeitige "Vererbung" von Waffen ein Beitrag zu mehr Sicherheit.


Den vollständigen Artikel finden Sie im sehr lesenswerten Blog von Katja Triebel. Dort gibt es auch viele weiterführende Informationen, Belge und Links zum Thema.

Abschließende Gedanken zum Thema "Gewaltbereitschaft in unserer Bevölkerung" und deren weitreichenden Folgen: 
Sind wir ganz ehrlich zu uns selbst und stellen uns eine Frage: In was für einer verrückten Zeit leben wir eigentlich? Ein offenbar psychisch kranker Legalwaffenbesitzer erschießt in einem Racheakt Teilnehmer eines Gottesdienstes, zwei Minderjährige Mädchen erstechen eine Mitschülerin mit einem Messer und andernorts wurde ein Mordanschlag mit einem LKW verübt. Und was bringt hier eine Verschärfung des Waffengesetzes? NICHTS – denn wie oben dargelegt, enthält das aktuell gültige Waffenrecht bereits alle Möglichkeiten für den Gesetzgeber, nur die Kontrolleure sind völlig überfordert. Leider setzt sich niemand für eine umfassende Analyse der Auslöser für Gewalt ein. Dabei gilt ein Grundsatz, den man nicht vergessen sollte: Menschen töten Menschen – nicht die Waffen alleine. Dabei lenken alle Detaildiskussionen um das Waffenrecht oder die Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters von der zentralen Frage ab: Was passiert hier gerade in unserer Gesellschaft? Darüber sollten wir alle und natürlich auch unsere Politik nachdenken. So kann es jedenfalls nicht weitergehen.