Wettkampfbericht: Long Range European Championships – auf die 1.000+ Meter-Distanz in Polen

Zwischen 50 und wenigen 100 Metern – das sind die üblichen Distanzen, auf denen die meisten Langwaffen in deutschen Waffenschränken Einsatz finden. Was bei den Jägern aus Gründen der Waidgerechtigkeit vertretbar scheint, schmerzt im Anblick der Potentiale, welche die moderne Sportschützenausstattung mit sich bringt.

Dem Wettbewerb sei Dank, verhelfen schon Optiken, Montagen und Waffen mittlerer Preisklasse einer großen Bandbreite an Kalibern dazu, präzise und beherrschbar weiter hinaus zu reichen, als das bloße Auge erkennen lässt. Kaum ein Schütze möchte sich dem Reiz des weiten Schusses verwehren.

Die sportliche Herausforderung kennzeichnet sich durch hochvariable Parameter aus Innen- und Außenballistik gepaart mit Wettereinflüssen. Und es gilt auch ein Kernaspekt jeder erfolgreichen Sportart: So einfach der Einstieg, so schwer die Perfektion.

Long-Range für Sportschützen: Matches in Polen als gute Gelegenheit

Auch bei Repetierern Pflicht, hier das 50er Bullpub-Gewehr Fortmeier M2002: die Sicherheitsfahne.

Aber halt: Ganz so einfach ist es mit dem Einstieg als deutscher Schütze leider nicht. Hierzulande können sich Long-Range-Schützen nur in überschaubarer Form betätigen – gelinde gesagt. Ein 300-Meter-Stand lässt sich fast allerorten nach zwei- bis dreistündiger Autofahrt erreichen. Für 500 Meter gibt es die Raumschießanlage im Stollen Rosenberg 1 im Erzgebirge. Soll es noch weiter gehen, fängt Long Range (LR) an und die Optionen für Normalsterbliche sind aus. 

Anders sieht es bei einigen europäischen Nachbarn aus. In erster Linie bedeutet Long-Range-Schießen Long Distance Driving. Faustformel: pro Meter schießen einen Kilometer fahren, um geeignete Stände in Dänemark, Tschechien oder Frankreich zu erreichen. Und natürlich in Polen: Da erfreuen sich mit dem "Longshot" und den "Long Range European Championships" (LREC) zwei jährliche Matches international großer Beliebtheit.

Peter Kahler auf Platz 3 in der Teamwertung Magnum. Preise gab’s für die ersten sechs Plätze pro Disziplin.

Zu dem letztgenannten Wettkampf fand sich heuer ein Team aus Enthusiasten rund um die LR-Sportgruppe des Bundes Deutscher Sportschützen (BDS) zusammen. Seit November 2019 betreibt Matthias Kachnowitz mit großer Begeisterung den Aufbau der Gruppe. Sie besteht aus BDS-Mitgliedern diverser Landesverbände, die sich regelmäßig zu Trainings im In- und Ausland treffen. Der BDS unterstützte 36 ausgewählte Mitglieder, die Erfahrungen und Erfolge auf 300-Meter-Bahnen vorweisen konnten, durch die Übernahme von Teilnahmegebühren. BDS-Präsident Friedrich Gepperth leistete persönlich moralische Unterstützung und reiste zur Wettkampfstätte bei Drawsko Pomorskie (ehemals: preußischer Landkreis Dramburg) an. 

Die Schießbahnen im Randbereich des größten NATO-Truppenübungsplatzes in Europa stellten vom 4. bis 6. September die Sportstätte für knapp 250 Teilnehmer aus Polen, Deutschland, Tschechien, Litauen, den Niederlanden, Luxemburg, Schweiz, Österreich, Finnland und Frankreich dar. In zehn Disziplinen kamen etwas über 460 Starts zusammen.

Long Range European Championships: Es geht los!

Wettkampfbericht: Long Range European Championships 2020 – auf die 1.000+ Meter-Distanz in Polen
Persönliches Magnum-Setup: Liegematte mit Zubehör sowie Ruger Precision Rifle in .338 Lapua Magnum und Schmidt & Bender PM II.

Der erste Tag galt der frühmorgendlichen Anmeldung und einer Pandemiegeschuldeten Fieberüberprüfung per Stirnthermometer – samt der obligatorischen Versicherung, weder an Covid-19 erkrankt zu sein noch Kontakt zu Erkrankten gehabt zu haben. Dankenswerterweise war der Rest des Tages für das Probeschießen reserviert. Zu den jeweiligen Startzeiten galt es, sich am zugewiesenen nummerierten Startplatz einzufinden. 

Die Kommandos zum Bereitmachen, Laden, Schießen und Feuer Einstellen wurden zweisprachig auf Polnisch und Englisch durchgegeben. Die Freude darüber, dass man zu Zeiten von sich stetig wechselnden Pandemie-Eindämmungsmaßnahmen einen internationalen LR-Wettkampf bestreiten darf, ließ das feuchtkalte Wetter etwas in den Hintergrund treten – zumindest für alle, die eine gute Regenjacke dabeihatten. 

Ein Muss für Long-Range-Schützen mit internationalen Wettkampfambitionen: der große Kofferraum.

Am folgenden Samstag – dem Hauptwettkampftag – half auch keine Freude mehr: Die Temperatur pendelte sich bei 13 Grad Celsius ein und aus dem Nieselregen wurde eine unfreiwillige Dauerdusche, die Mensch und Material auf die Probe stellte. Böiger Wind mit Geschwindigkeiten selten unter 2 m/s und regelmäßigen Spitzen jenseits der 5 m/s stellte für die meisten Teilnehmer sicherlich die größte Herausforderung dar. Da kam es gerade recht, dass BDS-Präsident Gepperth ein Zelt sponserte, viel größer als die übrigen kleinen Pavillons. Er übernahm die Kosten für An- und Abtransport, für Auf- und Abbau durch sein Personal. Angesichts des teilweise heftigen Regens passte das Zelt geradezu perfekt für die Eröffnungszeremonie und für die deutschen Aussteller und Schützen als Aufenthaltsraum während des Wettkampfes.

Long Range European Championships: Waffengattungen und Wettkampfklassen

Familienausflug mal anders: Hier traten Vater, Mutter und (das erwachsene) Kind zur selben Zeit nebeneinander an.

In den beiden Klassen für historische Gewehre für Zentralfeuerpatronen wurde mit offenem Visier auf 100 und 300 Meter geschossen. Das Feld bestand meist aus den üblichen Verdächtigen der Häuser Schmidt-Rubin, Carl Gustaf, Lee-Enfield und Mauser. 

Für die acht weiteren Klassen ging es weiter hinaus. Ob Semi-Auto, Semi-Auto Open, Sniper, Sniper Open, F/TR, Open, Magnum oder Ultra-Magnum: In jeder Waffengattung ging es über Distanzen von 300, 600 und 800 Metern. Alle Klassen des Matchs konnten einzeln wie im Zweier-Team bestritten werden. Damit bot sich eine Chance, die auch einige der BDS-Schützen erfolgreich wahrnahmen.

Grundsätzlich schossen die Teilnehmer des Wettkampfes im Liegen vom Zweibein oder von der Vorderschaftauflage und per aufgelegtem Hinterschaft mit Kontakt zur Schulter. Dabei wurde im Rahmen eines Durchgangs jede einzelne Distanz mit einem separaten Zyklus aus Vorbereitung, Ladevorgang und Zehn-Schuss-Serie bedacht. 

Während man in den Wettkampfkategorien Semi-Auto, Semi-Auto Open, Sniper, Sniper Open jeweils 10 Schuss auf die 3 Distanzen innerhalb von 25 Minuten abgab, waren in den Klassen F/TR, Open, Magnum und Ultra Magnum zusätzlich zu den jeweils 10 Wertungsschüssen 3 Probeschüsse erlaubt. Somit musste jeder Schütze 39 Patronen und keine einzige mehr dabeihaben. Nur in Ultra Magnum waren 5 Wertungsschüsse vorgesehen. Zusammen mit den Patronen für die 3 Probeschüsse galt es bei der Kontrolle, 24 Patronen vorzuweisen.

Der BDS reiste mit einem Team von über 30 Startern an, 26 davon stellten sich nach dem Match dem Fotografen, samt aller Urkunden und dem Tombola-Hauptgewinn in Gestalt eines vom Hersteller Mets aus Polen gefertigten Stahlzieles (links im Bild).

Long Range European Championships: Match bei widrigen Bedingungen

Kestrel im Regen, Klickverstellung für 800 Meter. Elektronisch oder mechanisch: Die Ausstattung muss wetterfest sein.

Für die Scheibenaufnahme zeigte sich ein wagemutiges Team verantwortlich, das zwischen den Durchgängen mit nur bedingt geländetauglichen Transportern querfeldein über eine im Dauerregen versumpfte Panzerwiese fuhr. Musste man am Übungstag noch die eigenen durchnässten Scheiben an zentralen Sammelstellen abholen, wurde es an den Wettkampftagen weit komfortabler – zumindest für die Wettkämpfer. Kurz nach der Scheibenaufnahme veröffentlichte das Auswertungsteam alle Einzeldistanzergebnisse sowie das für die Gesamtplatzierung ausschlaggebende Kombi-Resultat für alle einsehbar auf der offiziellen Webseite.

Die individuellen Fähigkeiten und der Erfahrungsschatz des jeweiligen Schützen haben neben den Wetter- und dabei vornehmlich Windbedingungen den größten Einfluss auf das Wertungsergebnis. Dennoch bietet ein Match dieser Anforderungsklasse eine erstklassige Chance, die Ausstattung der Mitbewerber zu sichten. Auffällig: Kaum jemand hat an Optik oder Büchse gespart. Was nicht heißt, dass jeder Griff in höchstpreisige Sphären gegangen ist. 

Long Range European Championships: Ausrüstung, Technik und neue Erkenntnisse

Die Spanne zwischen den zumeist gewählten Ausstattungsoptionen aus Mittel- und unterer Oberklasse und dem hochpreisigen Equipment ist weit. Unter anderem angefangen bei Gläsern von Bushnell und Leupold über Delta, Athlon und Vortex bis hin zu Steiner, Kahles, Schmidt & Bender und Nightforce: ein Stelldichein der großen Namen. Auf so einer Veranstaltung vielleicht unerwartet, aber mit gewohnter Vehemenz geführt wurden auch die Debatten über Absehen in erster oder zweiter Bildebene ebenso wie über Sinn und Unsinn von MOA- oder Milliradiant-Verstellungen.

Die Tikka T3x TAC A1 erfreute sich sowohl in .308 Winchester als auch in 6,5 Creedmoor großer Beliebtheit.

Einigkeit scheint über die vielbeschworene Erkenntnis zu herrschen, dass im Zweifel mehr in eine bessere Optik als in eine Büchse zu investieren ist. Diese Ungleichung fällt bei einigen Langwaffen nicht einfach aus: Eine Haenel RS9, diverse Fabrikate aus dem Kufsteiner Haus Voere, die TRG-Modelle von Sako und alles aus der Kalibergruppe Ultra Magnum fordern Tribut. 

Auffällig oft zeigten sich die kosteneffizienten Vertreter der Ruger-Precision-Rile-Familie. Kein Wunder – Ruger bediente schon früh das steigende Breiteninteresse am LR-Sport. Ruger war mit zwei Teams vertreten: Team 1 startete in der Division Sniper mit Kerstin Peitz und Jörg Kutnik, Team 2 in Sniper Open schossen Michael Lehr und Oliver Seliger zusammen.

Der mehrfache Europameister Alexander Kreutz hatte auch für seine Schreibutensilien den passenden Wetterschutz mit.

Im deutschen Team nahmen die Büchsen des für seine PSG Walküre bekannten Büchsenmachers Andreas Schuler eine Sonderstellung ein. Alexander Kreutz und Peter Kahler sicherten sich mit den Büchsen aus Bayern Plätze auf den Siegertreppchen. Schuler war selbst mit einem Kollegen seiner Schmiede AS.H angereist und half mit Rat, Tat und Werkzeug nicht nur Besitzern von Büchsen aus seiner Produktion. 

Eine weitere wertvolle Unterstützung fand ein BDS-Starter beim ausstellenden Schafthersteller Akila aus Slowenien. Eine Patrone hatte sich im Patronenlager verklemmt und drohte der Teilnahme des Betroffenen ein jähes Ende zu bereiten. Alex Chikin half zusammen mit seinem Konstrukteur, die Büchse wieder schussfähig zu machen. 

Gleichzeitig stellen sich auch neue Erkenntnisse zur eigenen Sekundärausrüstung ein. Auf LR-Wettkämpfen zählt eben nicht nur die Waffe mit ihren diversen Anbauteilen: Bietet die Hinterschaftauflage genug Verstellmöglichkeiten, um die unterschiedlichen Distanzen stabil in den Blick zu nehmen? Ist die Liegematte auch wirklich wetterfest oder versinkt man bei regnerischem Wetter in einem Feuchtbiotop? Hält die Regenjacke Dauerregen stand und wie war das nochmal mit der Sinnhaftigkeit einer ordentlichen Regenhose? Fragen, die man wohl nur einmal unbeantwortet lässt.

Das Finale: Wind, Sonderdistanz 1000+ Meter und Siegerehrung

Büchsenmacher Andreas Schuler mit siegreichen AS.H-Schützen Peter Kahler und Alexander Kreutz.

Der dritte und letzte Tag bot neben der für den Nachmittag angesetzten Siegerehrung noch die Chance, in den üblichen Waffenklassen auf die Sonderdistanz 1000+ Meter anzutreten, die sich nach Laser-Vermessung als 1.055 Meter herausstellte. Die Regengüsse des Vortages wichen vereinzeltem Sonnenschein: Ein Grund zur Freude. Stark böige Winde mit Spitzen von über 6 Meter pro Sekunde sorgten dafür, dass der Respekt vor den Wettergöttern erhalten blieb. Zu diesem Zusatzprogramm traten merklich weniger Teilnehmer an. Das Augenmerk vieler Schützen lag klar auf den Disziplinen, die als Kombination auf 300, 600 und 800 Meter am Vortag geschossen wurden.

Die Preise in Form von Urkunden, Medaillen und Pokalen in Geschossform konnten sich sehen lassen.

Bei der Siegerehrung am Sonntagmittag hatten sich wieder alle eingefunden. Die Atmosphäre blieb sportlich und in der deutschen Delegation durchweg freundschaftlich. Mit einer Reihe von Top-6-Platzierungen in Team- und Einzelwertungen gab es auch für das deutsche Team herausstechende Erfolge zu feiern. Eine anschließende Tombola bescherte einem Mitglied unserer Mannschaft den Hauptgewinn, ein aufwändiges in Maßen und Gewicht beeindruckendes Stahlziel vom polnischen Hersteller Mets. Nach kurzer Aufregung über die Möglichkeit eines Transports nach Deutschland fehlt jetzt nur noch der passende LR-Schießstand im Bundesgebiet. Bis dahin heißt es weiterhin: Trainings und Wettkämpfe werden bei unseren Nachbarn bestritten.

Veranstalter Rafal Walczowski richtet seit 15 Jahren Long-Range-Veranstaltungen in Polen aus. Er hofft für das nächste Jahr auf besseres Wetter, eine entspanntere Covid-19-Situation und verspricht eine größere und im Ablauf optimierte Veranstaltung: Wir werden dabei sein.

Long Range European Championships: Erfolge des BDS Teams in der Übersicht

Klasse
Platzierung
Schütze(n)
Semi-Auto 300, 600, 800 Meter
Platz 3
Maciej Kachnowicz
Magnum 300, 600, 800 Meter
Platz 2
Alexander Kreutz
Ultra-Magnum 300, 600, 800 Meter
Platz 3
Dr. Stanislaw Rowinski
Semi-Auto 1000+ Meter
Platz 5
Maciej Kachnowicz
Sniper Open 1000+ Meter
Platz 6
Sven Lehmann
Sniper 1000+ Meter
Platz 6
Endru Holzhüter
Magnum 1000+ Meter
Platz 6
Dr. Helmut Dugnus
Historical Open
Platz 5
Jörg Kuttnik
Semi-Auto (Team)
Platz 3
Maciej Kachnowicz, Dariusz Kurzynski (BDS National Team 5)
Magnum (Team)
Platz 3
Alexander Kreutz, Peter Kahler (BDS National Team 4)
Magnum (Team)
Platz 4
Dr. Helmut Dugnus, Heinz Dieter Rabbe (BDS National Team 1)
Ultra-Magnum (Team)
Platz 2
Dr. Stanislaw Rowinski, Oliver Körnig (BDS National Team 2)

Weitere Informationen zu den polnischen Long Range European Championships finden Sie auf der offiziellen Webseite.

Einen weiteren Wettkampfbericht aus Polen, diesmal mit IPSC-Kurzwaffendisziplinen, finden Sie bei uns hier.