Know-how mit all4shooters.com: "Liste B" des Deutschen Schützenbundes − über 500 alternative Disziplinen

Nix ist fix. Der saloppe Spruch mag auch auf den Deutschen Schützenbund zutreffen, dessen Wettkampfprogramm seit der Gründung 1861 und der Wiedergründung 1951 zahlreiche, manchmal gar revolutionäre Änderungen erfahren hat. Grundsätzlich orientiert sich die DSB-Sportordnung, wie das offizielle und vom Bundesverwaltungsamt waffenrechtlich anerkannte Regelwerk heißt, an den Wettbewerben der Internationalen Schützen-Föderation ISSF, auch das sind schwerpunktmäßig die olympischen Schießdisplinen (siehe unsere Olympia-Berichte 2024). Als Anfang der 1970er Jahre der DSB sportpolitisch und in vorauseilendem Gehorsam auf Kleinkaliber- und Druckluftdisziplinen reduzieren wollte, führte dies als Trotzreaktion enttäuschter Mitglieder zur Gründung der Großkaliberverbände BDS, BDMP und DSU und einer entsprechenden Mitgliederabwanderung. Also wurden beim DSB die 300-m-Disziplinen Freigewehr und Standardgewehr weiter angeboten, aber nicht mehr gefördert. Man veränderte auch die Regeln für die Gewehr-Disziplin “Schießen auf 100 m”, die sich aus dem früheren Schießen mit dem Scheibengewehr (auch “Feuerstutzen“ genannt) entwickelt hatte. Fortan waren bei diesem Match über 30 Schuss stehend nur noch KK-Gewehre zugelassen, die gleichwertig erlaubte Feuerstutzen-Patrone 8,15 x 46 R entfiel ersatzlos. Parallel schraubte der Schützenbund ebenfalls die Kurzwaffen-Disziplinen auf ein angeblich auch von den Schützen gewünschtes Maß herunter. Die bis dato auch das Kaliber .45 ACP zulassende Disziplin Großkaliber-Sportpistole (heute “Zentralfeuerpistole”) etwa wurde auf die Kaliber .30 bis .38 begrenzt, weil man davon ausging, dass sowieso niemand mit Sieger-Ambitionen etwas anderes als die schwach geladene Patrone .32 S & W long wählen würde.

Die Gebiete der 20 DSB-Landesverbände sind historisch gewachsen und entsprechen daher nicht den 16 Bundesländern. Die Kürzel finden Sie in der Tabelle weiter unten.
Das Cover der Liste B, deren jeweils aktueller Stand auf der Website des Bundesverwaltungsamts abrufbar ist (Link unter diesem Beitrag).

Dennoch gab es ein (auch vom DSB-Präsidium erkanntes) breites Schießsport-Leben in den Vereinen, man schoss beliebte Wettbewerbe eben einfach weiterhin. Das 2003 eingeführte Anerkennungsverfahren der Schießsportverbände umfasste auch die Sportordnungen, deren Genehmigung sich lange hinzog. Auch die für die Durchführung notwendigen Waffen-Verwaltungsvorschriften waren nicht mehr aktuell, und von Land zu Land, Kreis zu Kreis gab es Auslegungsunterschiede. Dann riss dem damaligen DSB-Präsidenten Josef Ambacher Ende 2006 der Geduldsfaden: “Seit Jahren warten wir auf die Umsetzung der Schießsportrichtlinien, nachdem das Waffengesetz schon lange verabschiedet ist. Doch für unsere Schützen und Vereine besteht eine große Unsicherheit, weil die Interpretation durch die Behörden von Bundesland zu Bundesland, von Kreis zu Kreis unterschiedlich ist. Doch das zuständige Bundesverwaltungsamt hat sich nicht bewegt — daher haben wir mit Erfolg eine Untätigkeitsklage eingereicht. In der Folge dieser effektiven Klage ist für die landesspezifischen Schießsport-Disziplinen die ‘Liste B‘ genehmigt worden.”

Die "Liste B" regelt seit 2006 die in den 20 Landesverbänden erlaubten Schießdisziplinen im Deutschen Schützenbund

Moderne Schießkleidung, Schießbrille und Gehörschutz, aber ein originalgetreues (da nach DSB-Regelwerk geprüftes) Ordonnanzgewehr mit Dioptervisierung: Die verschiedenen Disziplinen der Liste B spiegeln eine bunte Vielfalt wider. Ordonnanzgewehr wird zwar auch auf DSB-Ebene bis zur Deutschen Meisterschaft ausgetragen, aber oft weichen Entfernung, Anschlagsart oder Scheibenart ab.

Die Liste B war sozusagen ein Dammbruch, denn sie erlaubt seither relativ unbürokratisch abweichende Regeln für Disziplinen, und zwar jeweils (ein wichtiger, zu beachtender Punkt) stets begrenzt auf das Gebiet der DSB-Landesverbände. Von denen gibt es historisch gewachsen 20, die nicht unbedingt mit den 16 Bundesländern übereinstimmen. Die folgende Auflistung zeigt die Landesverbände samt Abkürzung, ihren Sitz und die Zahl der hier regional angebotenen Disziplinen der Liste B, die aktuell (Stand Ende 2024) 319 Druckseiten und 572 Disziplinen umfasst – die fünf Verbände mit den meisten Angeboten wurden fett markiert:

Landesverband und Kürzel (alphabetisch)Sitz GeschäftsstelleZahl der Liste-B-Disziplinen
Badischer Sportschützenverband (BD)Leimen 103 (!!)
Bayerischer Sportschützenbund  (BY)Garching bei München 21
Schützenverband Berlin-Brandenburg (BL)Berlin37
Brandenburgischer Schützenbund  (BR)Frankfurt/Oder41
Schützenverband Hamburg und Umgegend (HH)Hamburg9
Hessischer Schützenverband (HS)Frankfurt/Main4
Landesschützenverband Mecklenburg-Vorpommern (MV)Neubrandenburg48
Niedersächsischer Sportschützenverband (NS)Hannover5
Norddeutscher Schützenbund (ND)Kiel15
Nordwestdeutscher Schützenbund (NW)Bassum5
Oberpfälzer Schützenbund (OP)Pfreimd8
Pfälzischer Sportschützenbund (PF)Neustadt19
Rheinischer Schützenbund (RH)Leichlingen10
Schützenverband Saar (SA)Saarbrücken14
Landesschützenverband Sachsen-Anhalt (ST)Barleben92
Sächsischer Schützenbund (SC)Leipzig16
Südbadischer Sportschützenverband (SB)Offenburg4
Thüringer Schützenbund (TH)Erfurt39
Westfälischer Schützenbund (WF)Dortmund57
Württembergischer Schützenverband (WT)Stuttgart25
Gesamtzahl der Disziplinen in der Liste B des DSB 
572

Liste B des DSB: Eine bunte Mischung aller Kaliber, Waffenarten und Ziele, etwa Holzklötzchen, Klappscheiben oder Rollhasen

Der .30 M1, einst als Unterstützungswaffe gedacht, feiert heute eine Wiedergeburt auf dem Schießstand. caliber gibt einen Einblick in die Geschichte mit Tipps zur Kaufberatung und dem Wiederladen.
Der ehemalige Militärkarabiner .30 M1, einst als Unterstützungswaffe gedacht, feiert heute eine Wiedergeburt auf dem Schießstand. Zumindest beim Badischen Sportschützenverband, der mehrere Wettbewerbe über die Liste B anbietet.
Auch die gute, alte Walther GSP findet in fast allen Landesverbänden noch passende Angebote – oft sind nämlich neben dem klassischen einhändigen DSB-Anschlag auch beide Hände erlaubt, und neben Papierscheiben dienen auch die attraktiven Stahl-Klappscheiben als Ziele.

Wer die PDF-Datei der aktuellen Liste B durchstöbert und meint, sich bereits mit den Disziplinen des Deutschen Schützenbundes auszukennen, der wird rasch umdenken müssen: Der Einfallsreichtum in den Landesverbänden scheint schier unerschöpflich zu sein, es sind auch viele in der bundesweiten Sportordnung vergessene Varianten zu finden wie der sitzende Anschlag, Gewehr angestrichen am Pfosten oder auch aufgelegt, die aus der Sportordnung verschwundenen Liegend-Wettbewerbe oder vom Hochstand aus auf kleine Holzklötzchen in verschiedenen Größen (zu finden beim Rheinischen Schützenbund). Und die einsetzbaren Waffen, ob lang oder kurz, dürften auch den Mitgliedern anderer Schießsportverbände attraktiv erscheinen: Hier dürfen Sportschützen (je nach Landesverband!) mit Feuerstutzen, Zimmerstutzen und historischen Blockbüchsen starten, mit großkalibrigen Revolvern, mit Selbstladegewehren, den sonst beim DSB unbeliebten Zielfernrohren oder Leuchtpunktzielgeräten oder gleich in mehreren Verbänden sogar mit Modellkanonen. Der Badische Sportschützenverband, der ohnehin mit über 100 Liste-B-Disziplinen unangefochten vorn liegt, bietet zum Beispiel auch den Fans des US-Militärkarabiners .30 M1 neue Startgelegenheiten. Alles, was sonst seitlich vom Sportordnungstisch heruntergefallen scheint, ist in diesem Wettkampfparadies zu finden. 

Die bei diversen Disziplinen eingesetzte Finalscheibe für Großkaliber-Wettkämpfe mit Pistole oder Revolver

Natürlich, das bleibt bei fast 600 Disziplinen nicht aus, wird im einen oder anderen Fall die Teilnehmerzahl und das Interesse auch überschaubar sein. Schließlich braucht ein Verband zur Austragung auch entsprechende Schießstände, Termine und ehrenamtliche Helfer, und alle drei werden immer knapper. Auch nützt es einem Hamburger nichts, wenn seine Lieblingsdisziplin nur in Bayern angeboten wird. Allerdings zählt der Vereinsort und nicht die Meldeadresse: entsprechende Reiselust vorausgesetzt, wäre auch dies möglich, wenn man sich einem dortigen Verein anschließt. Oder es finden sich ein paar Gleichgesinnte und versuchen, die Landesverbands-Sportleitung von der Aufnahme einer Disziplin in die Landes-Liste B zu überzeugen. Dann wäre sie zumindest bei der nächsten Aktualisierung mit dabei. 

Andersherum, dies als durchaus kritische Anmerkung der Redaktion all4shooters.com, darf man bei einigen Landesverbänden mit einer einstelligen Zahl von Liste-B-Angeboten durchaus nachhaken, ob es an Einfallsreichtum fehlt oder eher die Wünsche der Mitglieder ignoriert werden, wenn nur wenige Kilometer weiter deutlich mehr Schießsportalternativen angeboten werden. 

Wichtig: Dass eine Disziplin über die Liste B erfasst und damit waffenrechtlich anerkannt ist, erhält gleichzeitig auch das Bedürfnis, solche Waffen zu erwerben und zu besitzen – mancher Schnellfeuerschütze dachte beim vorgeschriebenen Kaliberwechsel auf .22 long rifle anno 2004 schon darüber nach, seine geliebte OSP in .22 kurz in Gießharz zu versenken und nur noch als Briefbeschwerer zu nutzen. Nichts da: Mehr als ein halbes Dutzend Verbände erlauben das schwache Kaliber .22 short weiterhin in ihren Liste-B-Regeln für Schnellfeuerpistole.

Es lohnt sich daher, die auf der Website des Bundesverwaltungsamts stets aktuell gelagerte Liste B des Deutschen Schützenbundes herunterzuladen und ganz pragmatisch per Suchbefehl nach dem Gewünschten zu durchforsten. In nicht wenigen Fällen bietet vielleicht der eigene DSB-Landesverband eine entsprechende Disziplin oder eine Variante an, bei der die Lieblingswaffe eingesetzt werden kann. Dann heißt es "Bingo", vorn mit B wie Liste B...