Forensik: Rekonstruktion von Markierungen an klassischen Schusswaffen mit modernen Methoden. Vorsicht Falle! 

Seit Jahrhunderten werden Ursprungsmarkierungen an Schusswaffen angebracht. Stand anfangs eher die buchhalterische Erfassung von militärisch genutztem Gerät im Fokus, werden heute auch Hersteller von Jagd und Sportwaffen in allen Staaten zur Markierung und Serialisierung zwecks Rückverfolgbarkeit verpflichtet. Bemerkenswert ist, dass die Markierungspflicht in den USA erst seit den 1960er Jahren besteht. Serielle Markierungen an vorschriftsmäßig gekennzeichneten Waffen können in ihrer Gesamtheit als sicht- und fühlbare, oberflächlich direkte Markierungen, und deren in die Tiefe gehendes "Echo" betrachtet werden. Je nach Markierungsmethode wird eine Prägetiefe bis zu zwei Millimeter erreicht. Während Nadler-Geräte weniger in das Material eingreifen, prägen Rollgravuren oder Schlagstempel deutlich tiefer. Allgemein stellt sich in der Forensik bei Schusswaffen die Aufgabe, schlecht leserliche oder nicht mehr erkennbare Herstellermarkierungen wiederherzustellen. Diese Problematik kann auch ohne kriminelle Hintergedanken, auf natürlichem Wege durch Rost oder andere Korrosionsschäden, entstanden sein. Die Kombination von deren Beseitigung durch Überschleifen, Neubrünieren oder anderen nachträglichen Oberflächenbeschichtungen, wie Galvanisieren oder Lackieren, verwischt meist ungewollt ebenfalls ursprüngliche Markierungen.

Der bleibende Eindruck: Einfache Methoden der Wiederherstellung von Seriennummern bei Schusswaffen

Einschlag von Seriennummern in der Zeichnung.
Das Schema verdeutlicht am Rand der schlagend eingebrachten, V-förmigen Vertiefung der oberflächlichen Markierung die darunter verdichtete Materialstruktur.

Dunklen Zwecken dient das gezielte Herausschleifen der Seriennummer, um die Rückverfolgung einer Deliktswaffe zu erschweren oder – für den Täter – idealerweise zu verhindern. Dessen forensisch tätige Gegenseite erarbeitete sich jedoch rasch Wiederherstellungsmethoden. Schon das erste Standardwerk zur modernen Schusswaffen-Forensik von 1935, "Firearms Investigation Identification and Evidence" von Generalmajor Julian S. Hatcher, geht im Detail darauf ein. Das Prinzip aller Wiederherstellungsverfahren auf metallischen Werkstoffen nutzt die Gefügeänderung bei mechanischer Bearbeitung. Durch Roll- oder Schlagstempel auf metallische Oberflächen geprägte Markierungen lassen sich auch nach Ausschleifen, analog ihrer in die Tiefe gehenden Gefügeänderung, durchaus wiederfinden. Forensiker suchen also die Verdichtung des Materiales unter der ursprünglichen Markierung. Diese Verdichtungen unter der durch Schliff oder Rost unkenntlich gewordenen Markierung bilden das noch in der Tiefe befindliche "Echo" der einstigen Zeichen. Die klassische Methode dieses Verfahrens geschieht jedoch oberflächenzerstörend:

Erste Techniken zur Wiederherstellung von Markierungen waren oft ungeeignet: Waffe echt, aber nach der Prüfung kaputt

Zerstörende Methode der Seriennummernwiederherstellung.
Waffenkennzeichnung oben: Auffindesituation mit Fälschungsvermutung. Auch Prä- oder Suffixe können Werte steigern.
Darunter: Spiegelnder Anschliff nach Politur als Vorbereitung vor dem Säureauftrag.
Darunter: Durch Ätzung tritt das "Echo" der Ursprungsmarkierung zur fälschend geschlagenen Markierung hervor.
Unten: Die Säuremethode reicht – beschädigt aber das Exponat

Die fragliche Stelle wird nämlich beschliffen und danach bis zum Spiegelglanz poliert. Auf die so vorbereitete Fläche kommt Säure, die das Material selektiv, also abhängig von der Gefügestruktur angreift. Die polierte Oberfläche wird meist mehrfach mittels Tupfer benetzt, getrocknet und wieder berieben, bis ein sichtbares Ergebnis erscheint. Die Interaktion zwischen der Säure und dem "Echo" der Ursprungsmarkierung hebt diese durch einen Farbumschlag wieder hervor. Solcherart sichtbare Markierungen müssen alsbald fotografisch dokumentiert werden, sie bleiben nicht permanent. Beispielhaft sei eine Mixtur erwähnt, die das New Jersey Police Laboratory in den 1950er Jahren zur Wiederherstellung einsetzte: 40 cc konzentrierte Salzsäure, 30 cc destilliertes Wasser, 25 cc Ethanol und 5 g Kupferchlorid-Kristalle. Diese Methode lässt sich durch Stromfluss zu einem elektrochemischen Verfahren mit höherer Sensitivität modifizieren. 

Das Kernproblem für Waffensammler bleibt: Die Oberfläche wird zur Anwendung sehr stark beschädigt, sprich abgeschliffen, poliert und sodann angeätzt. Dies gilt auch für vorhandene Beschichtungen, egal ob Brünierungen, Lacke oder galvanische Überzüge wie Nickel oder Chrom. Damit sind diese Verfahren zur Falsifikat-Verifikation oder der Suche nach (wertsteigernden) Markierungen wie Meistermarken bei antiken Waffen nahezu sinnlos. Wer will schon Löcher oder Dellen im Material und große Fehlstellen in der Brünierung oder der im Verlauf von Jahrhunderten patinierten Oberfläche? Es ist kaum erstrebenswert, den zweifelnden Sammlerkollegen die Authentizität des Stückes zu beweisen, aber dafür einen herben Wertverlust abzubuchen. Auch in der Forensik sind nicht-zerstörende Prüfungen erstrebenswert, um die Integrität von Beweismitteln für vielleicht später notwendige, weitere Untersuchungen zu bewahren.

Zerstörungsfreie Methoden zur Prüfung von Seriennummern und Markierungen von Schusswaffen: Das Magnetogramm

Abhilfe schafft ein Verfahren, das die Gefügeveränderung in der Tiefe nicht auf dem chemischen Weg mit Säure, sondern auf magnetischem Wege darstellt. Vorteilhaft für Waffensammler ist dabei, dass Beschichtungen das Signal abschwächen, aber in der Regel nicht entfernt werden müssen, da sie magnetisch durchdrungen werden. Auf Deutsch wird das Verfahren schlicht als "Magnetogramm", im Englischen präziser als "Magneto Optical Imaging (MOI)" beschrieben. Hier bietet sich der Begriff "Magnetscan" an. In der Tiefe der Erde liegende Siedlungsreste werden schon länger mit diesem Prinzip gefunden. Die Frage ist: Wie lässt sich dadurch ein Abbild der gesuchten Markierungen von Hieb- oder Schusswaffen wiederherstellen? Ältere Leser erinnern sich an die Zeit vor CD und USB-Stick und damit an die magnetische Speicherung von Daten auf dünnen, langen Kunststoffbändern. Ließen diese nur melodische Töne ertönen, hießen sie "Tonband" oder "Musikkassette". Musik mit bewegten Bildern gab der heute fast ausgestorbene Videorekorder von sich. Gemeinsames Merkmal dieser Geräte sind dutzende Meter lange Kunststoffbänder mit einer Beschichtung aus unzähligen, magnetisierbaren kleinsten Ferritpartikeln. Diese werden beim Aufspielen der Daten selektiv magnetisch ausgerichtet. Im Lesevorgang wird die Ausrichtung der Partikel durch den Lesekopf detektiert, während sich das Band mit kontinuierlicher Geschwindigkeit entlang eines Sensors bewegt.

Beschädigungslose Prüfung: Beispiel an "einer Colt M 1911 aus den 1920er Jahren" mit Hilfe des Magnetscans

Beispiel Colt 1911, Markierungen.
Erst mal schick. Die angebliche Glanznickel-Colt M 1911. Falsifikate kommen oft als vermeintliche Schnäppchen und gern vernickelt. Fälscher kennen die Scheu der Sammler vor zerstörten Oberflächen. Die Analyse sehen Sie im Bild-Slider (unten)

Die Untersuchung einer vermeintlich originalen Colt Pistole M 1911 aus den 1920er Jahren verdeutlicht die immensen Vorteile des Magnetscans. Schon die visuelle Prüfung erweckte einige Zweifel. Aber die Vorbesitzer besaßen einen Gebrauchs- und keinen Sammelgegenstand. Kleine Änderungen, die im Laufe der Jahrzehnte zustande kamen, fanden sich öfters an dann nicht mehr ganz originalen, aber dennoch begehrenswerten und teuren Stücken. Ansonsten Ad Oculos: Sehr guter, zeitgemäßer Zustand, nur die Oberfläche an den Flanken des Verschlusses zeigte geringe Wellen. Diese können aber durchaus der vor dem Vernickeln erforderlichen Handpolitur zum Entstehungszeitpunkt geschuldet sein. Wie sehr der rein physiologisch getätigte Blick täuschen kann, vermitteln die Detailaufnahmen der Verschlussflanke. Fortentwicklung der Technik hat auch vor Leseköpfen nicht haltgemacht, in ihren modernen Ausprägungen sind Auflösungen fast zum einzelnen Ferritpartikel hinab möglich. Damit wird das detaillierte magnetische Abbild von Oberflächen und deren magnetischer Tiefenstruktur, dem Echo der Markierung, erzeugt.

Markierungen auf einem vermeintlich Sammelwürdigen Colt 1911.
1. Scheinbar immer noch einwandfrei: die glanzvernickelte, wenn auch leicht wellige Verschluss-Oberfläche der Testwaffe. Doch Handpolituren vor dem Vernickeln waren um 1920 durchaus Standard.
Authentische 1920er-Markierung beim Colt 1911.
2. Auch der Vergleich zur zeitgenössischen, authentischen brünierten Colt M 1911 in vergleichbar gutem Zustand scheint stimmig. An der Art der Beschriftung wie der Zeichen der Nickelvariante gibt es ebenfalls nichts auszusetzen.
Zwischenschritt beim Sichtbarmachen der Originalmarkings auf dem 1911er.
3. Der Magnetscan zeigt aber, dass hier keine rund 100 Jahre alte Sammlerdelikatesse, sondern das (Meister-)Stück eines Fälschers vorliegt. Diese Spezies weiß: Gier fressen Hirn! Schritt für Schritt schält der Magnetscan die traurige Wahrheit unter dem Nickel heraus.
Vergleichsmarkierung auf Norinco 1911er.
4. Das ist des Pudels Kern: Die Vergleichsmarkierung einer authentischen Norinco M 1911. Diese wurde in China sogar in Mil-Spec gefertigt. Kostete um 1985 in den USA aber nur eine Handvoll Dollar ...
Eindeutige Stempel auf dem Beispiel-1911er.
5. Noch Fragen? Nein, diese .45er ist kein Produkt eines frühen Joint Ventures zwischen Colt und Norinco. Es ist eine hochkarätige Fälschung, die vor einigen Jahren kaum feststellbar gewesen wäre.

So funktioniert die Technik zur Wiederherstellung von Markierungen an wertvollen Sammlerwaffen mittels Magnetscan

Laptop mit dem Magnetscan-System Regula.
Das System Regula mit Zubehör. Im System integrierter Laptop und Magnetstreifenleser. Der Streifen ist bereits gelesen und kommt oben aus dem Scanner. Das Ergebnis zeigt der Bildschirm.

Als Sinnbild diene die Frottage einer Münze: Auf dieser liegt ein Blatt Papier, das mit einem weichen Bleistift berieben wird. Die unterschiedlichen Reliefhöhen der Prägung erscheinen als Bild auf dem Papier. Magnetisch betrachtet dient das Magnetband als Papier und ein rollbarer Permanentmagnet als Stift. Die magnetischen Veränderungen in der Tiefe entsprechen als Informationsspeicher dem Prägerelief. Für einen Magnetscan reichen halbwegs saubere und glatte Flächen. Im Gegensatz zum mechanisch-chemischen Verfahren erlaubt der Magnetscan nicht zerstörende, beliebig reproduzierbare Untersuchungen. Neben forensischen Klärungen sind auch finanziell wichtige Prüfungen möglich, wie zur Authentizität von Sammlerwaffen, deren genauer Herkunftsbestimmung oder ihrer zeitlichen Zuordnung. Kinderleichte Kontrolle: Das Magnetband wird zur Vorbereitung einmal durch die dafür vorgesehene Öffnung des Scanners gezogen und dadurch entmagnetisiert. Danach wird das Band möglichst plan und in innigem Kontakt zur untersuchenden Fläche fixiert. Mit dem Permanentmagnet ("Stift“) fährt der Untersucher einmal der Länge nach bei leichtem Anpressdruck über das Band. Danach wird der Magnetstreifen ins Lesegerät geführt und – fertig! Der hochempfindliche Magnetlesekopf gibt die Daten direkt in den am System befindlichen Laptop, der unmittelbar das entsprechende Magnetbild der untersuchten Oberfläche errechnet.

Waffenhalter für die Magnetscan-Methode bei Schusswaffen.
Magnetscan Technologie zur Prüfung von Waffen: Der optionale Waffenhalter mit Magnetisierrahmen erlaubt eine wesentlich bessere Durchdringung des Materials und die komplette Darstellung des Objektes.

Sollte die Anwendung des Magnetstiftes nicht zu aussagekräftigen Bildern führen, besteht die Möglichkeit, einen Wechselstrom Magnetisierkopf anzuwenden oder das komplette Objekt in einer stationären Magnetisierstation zu fixieren. Diese erlaubt eine noch bessere Auflösung, selbst in Nichteisenmetalle. Die Fraktion der bösen Buben weiß längst, dass einfaches Abschleifen nur zur Täuschung des unbewaffneten Auges reicht. Extrem hochtourige Miniatur-Schleifmaschinen hält mittlerweile jeder Baumarkt vor. Was liegt näher, als sehr tief ins Material zu schleifen oder fräsen? Doch die Gefügeänderung sitzt bis zu zwei Millimeter tief unter den Prägungen. Das auszuschleifen geht in die Tiefe fast aller relevanten Waffenteile und kann Waffenbrüche provozieren. Waffensammler treibt neben der Frage nach der Authentizität auch oft um, welche Fabrik – oder Manufaktur – das neue Stück nun (wirklich) gefertigt hat. Welcher Colt-Sammler kennt nicht die extrem wertsteigernde Singer-Markierung an einer ansonsten standardisierten M 1911 A1? Korrosionsschäden oder oft erhaltenswerte dichte Patina auf Antikwaffen bilden ebenfalls oft Hindernisse für eine genaue zeitliche Einordnung, aber nicht für den Magnetscan.

Fazit zum getesteten Magnetscan-Gerät von Regula Forensics

Insbesondere mit Zusatzgeräten hat sich die vorgestellte Methodik inzwischen zum Stand der Technik vor allem im KFZ-Bereich etabliert. Hinderlich ist allerdings der Preis der Systeme, die Kosten liegen bislang im mittleren fünfstelligen Bereich. Das ist nicht gerade wenig, aber auf die Prüfung hochkarätiger Sammlerwaffen – oder solche, die es sein könnten – bezogen auf jeden Fall den Preis wert, wenn es um hochwertige und sehr teure Sammlerwaffen geht. Hersteller und Vertreiber des getesteten Gerätes ist die Firma Regula Forensics in Düsseldorf. 


Text: Götz Coenen und Robert Riegel | Fotos und Grafiken: Götz Coenen, Wolfgang Dicke †

Diesen Artikel können Sie auch in der VISIER 01/2022 lesen. Das Heft ist sowohl in der gedruckten, wie auch in der Digitalausgabe im VS Medien-Onlineshop erhältlich.