Snider-Gewehre: Britische Gewehre mit Snider-Klappenverschluss – Geschichte und Technik der Waffe

Die Änderung der britischen Vorder- zu Hinterladern nach System Snider: ein Thema, das die Fachliteratur meist nur summarisch behandelt. Dabei war dies ein wichtiger Schritt beim Übergang vom Vorderlader zum Gewehr für Zentralfeuerpatronen. Nach Preußen setzte Großbritannien als zweites Land beim Militär konsequent auf Hinterlader. Anders als sonstige aptierte Vorderlader lassen sich britische Snider-Gewehre leicht wieder zum „Sprechen“ bringen. Wie das geht, welche Modifikationen es bei der Umstellung gab und wo Snider-Gewehre eingesetzt wurden, darum geht es jetzt:

Das britische Militär verfügte um 1860 mit dem Enfield-Gewehr Pattern 1853 (P/53) und dessen Varianten (Short Rifle, diverse Karabiner) über präzise schießende Vorderlader  –  vielleicht die besten militärischen, die es je gab. Nach Auswertung des Deutsch-Dänischen Krieges (1864) und der ersten Schlachten des US-Bürgerkriegs (1861-65) erkannte das Kriegsministerium (War Office) aber, dass dem Hinterlader die Zukunft gehören würde. So schrieb es am 25. August 1864 einen Wettbewerb aus, um die Vorder- in Hinterlader umzubauen. 5.000  Pfund Prämie sollte der Gewinner erhalten, aber nur unter zwei Vorgaben:

  1. Der Umbau durfte je Gewehr höchstens ein Pfund kosten.
  2. Der Hinterlader musste mindestens so präzise schießen wie eine Enfield Rifle.
Snider-Gewehre: Britische Gewehre mit Snider-Klappenverschluss – Geschichte und Technik der Waffe
Der Hahn der Snider Mk. II*, der auf dem schräg laufenden Schlagbolzen ruht.

Es kamen 50  Vorschläge, acht davon gelangten in die engere Auswahl. Im Januar 1865 begann die erste Testphase, eine zweite im März 1865. Letztlich setzte sich trotz schlechterer Präzision der Entwurf von Jacob Snider durch. Denn der für die Munitionsentwicklung der britischen Armee zuständige Oberst Edward  Mounier Boxer setzte sich massiv dafür ein und versprach eine präzisere Patrone. An Sniders Konstruktion hatte auch der französische Büchsenmacher François Schneider einen Anteil, zudem wurde sie von Oberst W. M. H.  Dixon, dem Leiter der Gewehrfabrik in Enfield, modifiziert. Das Ergebnis war ein Klappenverschluss mit seitlich schwenkbarem Block. Während Snider den Lauf oben aufschneiden und daran den Verschluss montieren wollte, führte Dixon ein als „Schuh“ bekanntes Bauteil ein, das den gesamten Verschluss enthielt. Zum Umbau wurde die Schwanzschraube aus dem ausgebauten Lauf entnommen, von letzterem hinten ein zirka 2,5  Zoll langes Stück abgeschnitten und das Laufende leicht aufgeweitet, um ein Patronenlager zu bilden. Außen wurde ein Gewinde eingeschnitten und der Lauf in besagten Schuh, also ins Verschlussgehäuse, geschraubt. Der Snider-Verschluss wurde am 18.  September 1866 offiziell angenommen. Nun erfolgte der Umbau aller im Dienst stehenden britischen Militärgewehre. Schon Ende April  1867 gab es etwa 136.000 aptierte Stücke. Als Ende des Jahres  1868 die Vorderlader aufgebraucht waren, entstanden neue Gewehre mit Snider-Verschluss.

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Das auf das Short Rifle Pattern 1860, geändert nach Snider Mk. II* aufgepflanzte Schwertbajonett. Dank der geschwungenen Yataghan-Form lag die Spitze der 565-mm-Klinge weit entfernt von der mit Putzstock arbeitenden Hand.

Für die Bewaffnung galt: Die Soldaten der Linienregimenter führten das lange Enfield-Gewehr mit Stichbajonett, die Sergeanten der Linienregimenter und die Schützenregimenter die Short Rifle mit Schwertbajonett. Den ersten großen Einsatz der Sniders gab es 1868 bei der britischen Strafexpedition nach Äthiopien am 13.  April  1868 in der Schlacht um Magdala, den letzten 1873/74 beim dritten Aschanti-Krieg. Obwohl nur als Übergang gedacht, nutzte die Armee die Gewehre knapp acht Jahre lang. Danach dienten sie bei Reserve-Polizei- und Kolonialtruppen. Erst nach 1900 stieß die Armee sie endgültig ab. Surplus-Großhändler wie der Hamburger Adolf Frank (ALFA) boten die Sniders noch bis zum Ersten Weltkrieg an.

Varianten der Änderung:

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Short Rifle Pattern 1860, geändert nach Snider Mk. II*, Kaliber .577 Snider. Länge 1230 mm, Lauflänge 777 mm, Gewicht 3.050 g. Eisenbeschläge (zwei Laufbänder), eiserner Putzstock, Bajonettaufnahme rechts.

Der Umbau geschah systematisch. Dabei werteten die Militärs die ersten Aptierungen aus, um Schwachstellen zu erkennen. Diese stellte man bei der nächsten Charge ab. Vorn auf dem Verschlussgehäuse wurden meist eine römische Zahl und ein, maximal zwei Sterne eingeschlagen. Diese Stempel kennzeichneten die jeweilige Version (Mark, abgekürzt Mk.) der Umstellung. Bei der vorigen Version eingeführte Änderungen blieben in der jeweils nächsten Umbaustufe erhalten:

  • Mk.  I: Das Gewehr ist für eine Patrone mit abgerundetem Rand eingerichtet.
  • Mk. I*: Auf Basis von Gewehren MK. I gebaut, man passte das Patronenlager an Hülsen mit rechteckigem Rand an.
  • Mk. II*: Wie Mk I*. Allerdings wurde das Gewehr bereits so gebaut und nicht nachträglich geändert.
  • Mk. II**: Fünf Änderungen, unter anderem an den Formen von Auszieher und Verschlussblock.
  • Mk. III: Gewehre mit dem ab 1869 überarbeiteten Verschluss entstanden vollständig neu. Die wichtigsten Unterschiede gegenüber Mk. II** liegen im Verschluss und in stählernen Läufen.

Fehlt einer dieser Stempel, handelt es sich mit Sicherheit um eine neu hergestellte Waffe vom Typ Mk. III. Trägt der Verschlussblock die Beschriftung „Sniders Patent“, liegt ein in Großbritannien kommerziell gefertigtes Element vor.

Verschlussvarianten Mk. I bis Mk. II**: Ein federnder Stift in der Gehäuserückwand hielt den massiven Verschlussblock rechts außen am Schuh.

Verschlussvariante Mk. III: Weil sich der Verschlussblock ab und zu beim Schuss öffnete, wurde er anno 1868 überarbeitet. Er erhielt einen massiven Bolzen, der beim Verriegeln in eine Aussparung der Gehäuserückwand griff und so den Block sicher fixierte. Per Taste ließ sich der Bolzen lösen.

Nicht-britische Snider-Gewehre:

Die Niederlande und Dänemark nutzten ein modifiziertes Snider-System zum Vorderlader-Umbau. Portugal kaufte ab 1873 eine größere Menge Snider-Gewehre und -Patronen in Großbritannien, fertigte aber auch selbst, etwa die Artilleriekarabiner Modell 1875. Deren Läufe kamen aus Belgien, die Systeme aus England. Zudem nutzten Serbien, Montenegro, die Türkei und Ägypten derlei. Etwas Besonderes sind die Gewehre aus Nepal. Wegen der politischen Gemengelage zwischen Indien, Tibet und China ließen sich für das Land im Himalaya-Gebirge keine britischen Gewehre durch Indien transportieren. So entstanden Sniders vor Ort in Handarbeit. Sie standen in der nepalesischen Armee in Dienst. Danach wurden sie im Arsenal von Kathmandu eingelagert  …  und vergessen. Dieses Lager wurde um die Jahrtausendwende wiederentdeckt. Auch zivile britische Büchsenmacher änderten Vorderlader und fertigten neue Sniders für Jagd und Sport. Bei solchen Stücken gab es auch andere Kaliber als das militärische .577  Snider.

Das hier vorgestellte Snider-Gewehr ...

Snider-Gewehre: Britische Gewehre mit Snider-Klappenverschluss – Geschichte und Technik der Waffe
Dieses Snider-Gewehr vom Typ Mk. II* ist ein umgebautes Stück. Es wurde 1861 gefertigt und  zwischen dem 18.  September 1866 und dem 1.  Januar 1868 zum Hinterlader umgebaut.

...  ist vom Typ Mk. II* und somit ein umgebautes Stück. Sie entstand 1861 in der Gewehrfabrik Enfield als Short Rifle und wurde zwischen dem 18.  September 1866 und dem 1.  Januar 1868 zum Hinterlader umgebaut. Eine oft ruppige Behandlung hinterließ Spuren im Lauf sowie am Schaft. Die Short Rifle lässt sich leicht mit der Navy Rifle P/58 verwechseln. Sie unterscheidet sich aber von ihr durch Eisenbeschläge und die Position des hinteren Riemenbügels. Zur Short Rifle gehört das „Yataghan Bayonet P/ 56“, ein langes Schwertbajonett. Es würde zwar auch auf die Navy Rifle P/58 passen, gehört aber nicht dazu, denn die Marine nutzte für ihre Gewehre das aufpflanzbare Entermesser „Pattern  1859 Naval Cutlass Bayonet“.

Die Patrone .577 Snider

Die .577  Snider entstand auf Basis der Entwürfe von Clement Pottet und François Schneider durch Oberst Edward  M. Boxer. Dieser erhielt auf die Zündvariante zwei britische Patente (Nr. 137, 15. Januar  1866; Nr. 2653, 13. Oktober  1866) und eines in den USA (Nr. 91,818 von 1869). Die Boxer-Patronenhülse bestand aus drei Teilen:

  • Korpus aus gerollter Messingfolie, darin zur Abdichtung eine Lage aus Papier, getränkt mit Lein- oder Teeröl.
  • Bodenteil aus geprägtem Messing,
  • Extraktions- oder Auszugsscheibe aus Messing, ab Patrone Pattern  IV aus lackiertem Eisen.

Diese Scheibe war am Bodenteil vernietet, wobei die Zündglocke als Niet diente. Der Korpus kam ins Bodenteil, wurde unten gestaucht und per eingeschobenen Kartonring fixiert. Die Zündglocke erhielt oben ein Loch, so dass der Feuerstrahl des mit einem Amboss versehenen Zündhütchens zur Ladung dringen konnte. Dieser Aufbau wirkt zwar umständlich, aber bis heute gibt es Papp- oder Plastikhülsen für Schrotpatronen nach ähnlichem Prinzip. Massive Hülsen aus Messing kamen erst nach Ende der regulären Snider-Dienstzeit. Die Patrone wurde in Großbritannien mit 70  Grains (4,54  Gramm) grobkörnigem Militärpulver der Sorte R.F.G. geladen. Dessen Körner fielen bei der Fertigung durch ein Sieb mit 12  Maschen und blieben auf einem Sieb mit 20  Maschen liegen. Als Geschoss diente eine Hohlbodenversion; Kaliber: .573 bis .574“. Im Boden saß ein Pfropfen, ein weiterer verschloss die Hohlspitze. Von August  1866 bis August  1871 wurde die Patrone neunmal überarbeitet. Die ersten Versionen hießen „Pattern I“ bis „Pattern V“, danach nannte man die Änderungen „Mark VI“ bis „Mark IX“. Die Hauptänderungen betrafen die Einführung der eisernen Extraktionsscheibe und Verringerungen bei Geschosslänge und -masse: Die Patronengesamtlänge schrumpfte von 1,12 auf 1,04  Zoll, das Geschossgewicht sank von 525 auf 480  Grains. Boxer schuf letztlich eine Patrone, die aus dem Gewehr  P/53 mit dem Drall  1:78“ wie aus der Short Rifle mit dem Drall  1:48“ gleich gut trafen. Allerdings blieb die Snider-Patrone immer empfindlich gegen seitlichen Druck.

Laden und Entladen des Snider-Gewehrs:

Snider-Gewehre: Britische Gewehre mit Snider-Klappenverschluss – Geschichte und Technik der Waffe
Das Öffnen des Snider-Klappenverschlusses: Zuerst den Hahn in die Laderaste setzen, dann den Verschluss mit dem links angebrachten Handgriff zur Seite ...
Snider-Gewehre: Britische Gewehre mit Snider-Klappenverschluss – Geschichte und Technik der Waffe
... und damit nach rechts aufklappen. Dann war die Lademulde hinter dem Lauf zugänglich.

Zum Laden setzt man den Hahn in die Laderast und klappt den Verschluss zur Seite auf (bei Mk. III drücke man zuvor die Taste am Verschlussblock). Patrone in die Lademulde legen, per Daumen ins Patronenlager vorschieben und Verschluss zuklappen. Steht dann der Hahn in der Spannrast, ist die Waffe feuerbereit. Zum Entladen respektive Auswerfen der abgeschossenen Hülse wieder Hahn in die Laderast und Verschluss öffnen. Nun den Auszieher bis zum Anschlag nach hinten bewegen. Dann ziehen die Finger die Hülse ganz aus dem Lager, ehe man die Waffe zum Auswerfen nach rechts kippt. Sniders bewährten sich im Gefecht, waren zuverlässig, präzise. Mit ihnen ließ sich etwa 6- bis 10-mal je Minute feuern. Freilich kosteten Laden und Entladen viel Zeit. Das lag am manuell zu bedienenden Auszieher und am fehlenden Auswerfer.

Die Snider-Gewehre im Einsatz heute

Snider-Gewehre finden sich gelegentlich in Kleinanzeigen. Wer solch einen Oldtimer zum Schießen sucht, der achte nicht nur auf den Schaftzustand und Ähnliches, sondern vor allem auf einen vollständigen Verschluss und auf einen guten Lauf, denn lange Dienstzeit und rauer Umgang blieben an (und in) vielen dieser Waffen leider nicht ohne Folgen. Wer die sportliche Verwendung (s)eines Snider-Enfield-Gewehres nachweisen muss, findet mit den BDS-Disziplinen 6481 (Standard-Einzelladergewehr, Präzision) und 6484 (Standard-Einzelladergewehr, Dreistellung) die entsprechenden Optionen.


Text: Wolfgang Finze und Matthias S. Recktenwald

Dieser Artikel erschien auch in der VISIER, Ausgabe 7/2025. Dort sind auch weitere Infos zum Wiederladen der Patrone .577 Snider sowie ein Portrait zu Jacob Snider enthalten. Zudem finden sich weitere Bilder und Zeichnungen. Das Heft können Sie im VS Medien-Shop online kaufen. Dort steht es auch als ePaper zur Verfügung.